Süddeutsche Zeitung

Prozessauftakt:"Der wollte was von unserem Schnaps"

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Aus dem Gericht von Hans Holzhaider

Andreas V., 47, und sein Kumpel Lothar D., 62, hatten es sich einigermaßen gemütlich eingerichtet vor dem S-Bahnhof Schöneweide weit im Südosten der Hauptstadt. Mit vier Baustellengittern hatten sie ihren Schlafplatz eingezäunt und einen Sonnenschirm darüber aufgespannt, damit sie auch bei Regen trocken blieben. Auch Ricky, Andreas V.s kleiner Mischlingshund, hatte dort seinen Futternapf.

Am späten Abend des 22. Juli 2018 fand die Harmonie ein brutales Ende.

Gegen 23 Uhr, so steht es in der Anklage, habe der Schlosser Aleksandr T., 48, die beiden obdachlosen Männer mit Benzin überschüttet und in Brand gesteckt. Lothar D. kam mit leichten Verletzungen davon, weil Gäste aus der benachbarten Imbissbude schnell mit einem Feuerlöscher zur Hand waren. Aber Andreas V. kam mit lebensbedrohlichen Verletzungen auf die Intensivstation; 30 Prozent seiner Hautoberfläche waren verbrannt. Er wurde in ein künstliches Koma versetzt, aber das rettete sein Leben nicht. Er starb vier Monate später im Unfallkrankenhaus Marzahn.

Die Anklage gegen Aleksandr T. wegen versuchten Totschlags musste geändert werden: Sie lautete jetzt auf vollendeten Totschlag und gefährliche Körperverletzung.

Aleksandr T. ist ein hagerer Mann mit hoher Stirn, die verbleibenden Haare hat er zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er ist in Kasachstan geboren, verheiratet, neben der deutschen hat er auch die russische Staatsbürgerschaft. Mehr erfährt man nicht über ihn am ersten Verhandlungstag vor dem Berliner Landgericht. Auf Anraten seines Verteidigers Alois Fleck will er sich vorerst nicht äußern.

Als erster Zeuge ist Lothar D. geladen, das zweite Opfer. Er lässt lange auf sich warten. Unter den Zuschauern im Gerichtssaal ist Peter B., 59, er wohnt ganz in der Nähe des Tatorts, er kann ein bisschen erzählen über Andreas V., den "Andy", wie seine Freunde ihn nannten. Eine Seele von Mensch sei der Andy gewesen, sagt er, "der hätte dir das letzte Hemd gegeben". Der Bahnhofsvorplatz sei sein Zuhause, die anderen Obdachlosen seien seine Familie gewesen, nachdem er aus einem nahegelegenen Wohnheim ausziehen musste, weil dort saniert werden sollte.

Jeden Morgen sei der Andy rüber zum Bürgeramt gegangen, um sich dort in den öffentlichen Toiletten zu waschen. "Da hat er nix drauf kommen lassen", sagt Peter B. Und für die Beerdigung, da hätten die Freunde Geld gesammelt, damit er im Sarg begraben werden kann. "Zweimal verbrannt, das wäre doch ein bisschen ..."

Jetzt ist aber doch Lothar D. eingetroffen, die Verhandlung kann fortgesetzt werden. Er geht mühsam an einer Krücke, und er sieht sehr schlecht. Die Vernehmung gestaltet sich schwierig; Lothar D. nuschelt, immer wieder muss der Richter nachfragen.

Schlechtes Sehvermögen des Zeugen

Er weiß nicht mehr, wie spät es war, nur dass es schon dunkel war. Der Andy kam gerade mit einem Bier vom Imbiss. Und dann war da dieser Deutschrusse. "Der wollte was von unserem Schnaps, aber wir wollten ihm nichts abgeben. Aber der wollte partout nicht gehen." Er sei dann aufgestanden und habe den Mann weggeschoben, sagt Lothar D. Dann sei der über die Straße, zur Tankstelle, und dann sei er mit einem Kanister zurückgekommen.

Ob er das wirklich gesehen habe, fragt der Richter. Nein, sagt der Zeuge, er habe nur gesehen, wie der mit dem Kanister ausholte und den Andy und dann ihn selbst mit dem Benzin übergoss.

Er macht das vor, mit weit ausholender Armbewegung. Er hat nicht mitgekriegt, womit der Mann das Benzin dann entzündete. "Erst habe ich gebrannt, dann der Andy", sagt er. Er habe sich am Boden gewälzt und so die Flammen erstickt, aber Andy blieb stehen, "er hat gebrannt wie eine Kerze obendrauf". Ob er den Angeklagten wiedererkenne, fragt der Richter. Aber dazu reicht das Sehvermögen des Zeugen nicht aus.

Die Vernehmung ist beendet, der Zeuge wird entlassen, aber er hat noch ein Anliegen: Ob er denn Schmerzensgeld bekommen könne? Und neue Klamotten? Im Prinzip schon, sagt der Richter, man müsse einen Antrag stellen. Aber das solle er am besten mit einem Rechtsanwalt besprechen. Und wer bezahlt den? Ein Problem. Für Rechtsberatung, sagt der Richter, sei er leider nicht zuständig.

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SZ vom 30.01.2019
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