Süddeutsche Zeitung

Birma nach dem Wirbelsturm:Operation gelungen, Patient tot

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Die Souveränität der Staaten verpflichtet deren Regierungen auch dazu, das Leben ihrer Bürger zu schützen. Gelingt dies nicht, weil der Staat nicht kann oder will, müssen es die UN an seiner Stelle tun. Die Welt übernimmt, im Idealfall, die Verantwortung.

Nicolas Richter

Der birmanische Patient hungert und liegt im Fieber. Im Prinzip gibt es genug Ärzte, die ihm helfen könnten; sie warten immer ungeduldiger vor der Tür des Krankenzimmers, dürfen den abgedunkelten Raum aber nicht betreten. Am Krankenbett steht nämlich der Militärdoktor, der behauptet, er werde das schon allein in den Griff bekommen, was durchaus wörtlich zu nehmen ist: Der Militärarzt aus Rangun ist darauf spezialisiert, Menschen im Griff zu haben, wobei es ihm vor allem darum geht, dass Ruhe herrscht. Insofern ist es aus der Sicht dieses Doktor Seltsam wohl auch nicht so schlimm, wenn der Patient dem Fieber erliegt. Hauptsache, es drängen sich nicht zu viele Ausländer am Krankenbett.

Kein Wunder bei dieser Art der Behandlung, dass ein Mediziner jüngst die Vereinten Nationen ermahnte, ihrer "Verantwortung zu schützen" nachzukommen. Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner, Gründer der "Ärzte ohne Grenzen", folgt einer im Westen zunehmend verbreiteten Interpretation des Völkerrechts. Danach sollen die Regeln nicht nur Staaten dienen, sondern auch jenen, die schwersten Übergriffen und Krisen ausgeliefert sind. Die Souveränität der Staaten verpflichtet deren Regierungen auch dazu, das Leben ihrer Bürger zu schützen. Gelingt dies nicht, weil der Staat nicht kann oder will, müssen es die UN an seiner Stelle tun. Die Welt übernimmt, im Idealfall, die Verantwortung.

Dieses Prinzip, auf das sich die UN im Jahr 2005 geeinigt haben, ist ehrgeizig und oft schwer einzugrenzen. Auch im Fall Birma: Bedrohen die Katastrophe und das störrische Verhalten der Junta die internationale Sicherheit? Ist das Verhalten des Regimes gegenüber seinem Volk ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Unterlassen? Im Sinne der Schutzbedürftigen ist dies zu bejahen. Der Sicherheitsrat muss das Regime dazu zwingen, Hilfe anzunehmen. Eine militärische Intervention in Birma mag unrealistisch und sogar kontraproduktiv sein, aber zunächst würde es schon genügen, wenn der Birma-Freund China wenigstens eine deutliche UN-Resolution mittragen würde.

Doch das hehre Interventionsprinzip der UN ist so umstritten, dass davon keine Linderung zu erwarten ist in den großen Krisen der Welt. Prägnanter noch als Birma ist das Beispiel Sudan: Der Staat bringt seit Jahren seine eigene Bevölkerung um, ohne dass sich die Welt darauf einigen konnte, schnell und geschlossen einzugreifen. In Afrika wie in Asien sind die Ursachen ähnlich. UN-Vetomächte wie China fordern Rücksicht auf ihre verbrecherischen Verbündeten - ob Sudan oder Birma - und vereiteln jeden Versuch, den Opfern von Gewalt oder Katastrophen zu Hilfe zu eilen.

In dieser Woche haben es Russland und China nicht einmal zugelassen, dass sich der Sicherheitsrat auch nur über Birma unterrichten ließ. Die UN sind wieder einmal gespalten im Angesicht der Not, und das Ergebnis überrascht nicht: Der Militärdoktor aus Rangun hantiert weiter allein, weist Experten vor die Tür und beschlagnahmt Hilfsgüter, weshalb die UN ihre Bemühungen zeitweis eingestellt haben.

China, Russland und viele Entwicklungsländer mögen misstrauisch sein ob westlicher Interventionsideen. Wie das Beispiel Irak zeigt, werden unter dem Vorwand der Humanität durchaus auch illegale Kriege geführt. Das entschuldigt aber nicht die Sturheit der Veto-Mächte China und Russland, die sich auch in Extremsituationen immer wieder gegen die responsibility to protect stellen - gegen eine Verantwortung also, die auch die ihre sein müsste. Ein Vorschlag für die Reform des UN-Sicherheitsrates besagt, dass sich Veto-Mächte öffentlich rechtfertigen sollen, wenn sie Resolutionen verhindern. Auf die Antwort Moskaus und Pekings wäre man in der Tat sehr gespannt, denn in Rangun handelt der Doktor unbehelligt nach der Devise: Operation gelungen, Patient tot.

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SZ vom 10.5.2008
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