Süddeutsche Zeitung

Verunglückte Profi-Bergsteiger:Tragödie am Howse Peak

Lesezeit: 4 min

Von Titus Arnu

David Lama hat sich in einem Interview mit der SZ als "eher emotionalen Typen" bezeichnet: "Für mich ist es mit meiner Bergleidenschaft so, wie wenn man sich in eine Frau verliebt, da kann ich auch nicht die Gründe akribisch aufzählen, das ist Gefühlssache." Alpinistischer Instinkt, verbunden mit perfekter Klettertechnik und spielerisch wirkender Leichtigkeit - dafür ist der österreichische Ausnahme-Alpinist in der Szene bekannt. Sein Tiroler Seilpartner Hansjörg Auer hat sich als Extremkletterer einen Namen gemacht, aber auch er gilt eigentlich als stiller, akkurater Athlet und nicht als gedankenloser Draufgänger. So schätzte er sich in einem Gespräch mit dem Standard auch selbst ein: "Ich weiß, welche Fähigkeiten ich habe, ich kenne mich selbst sehr gut und spiele nicht russisches Roulette."

Doch selbst erfahrene Weltklasse-Kletterer sind nicht komplett vor den unberechenbaren Risiken der Natur gefeit. Wie es aussieht, sind Lama, 28, und Auer, 35, zusammen mit dem US-Alpinisten Jess Roskelley, 36, in Kanada von einer Lawine verschüttet worden. Das Trio hatte vor, eine besonders schwere Route am 3295 Meter hohen Howse Peak im kanadischen Bundesstaat Alberta zu klettern. Die abgelegene Ostwand des Berges im Banff-Nationalpark gilt als extremes Ziel mit gemischten Fels- und Eisrouten. Offenbar gerieten die drei beim Besteigungsversuch in eine gewaltige Lawine. Seit Mittwoch gibt es kein Lebenszeichen mehr von den Bergsteigern. Die kanadischen Behörden gehen davon aus, dass alle drei Sportler ums Leben gekommen sind. Es ist eine Nachricht, die die internationale Szene erschüttert, denn die drei zählen zu den besten Alpinisten überhaupt. Für Reinhold Messner gehörte Lama "in jeder Disziplin zur Weltspitze".

Claudia und Rinzi Lama, die Eltern von David, veröffentlichten am Freitag auf der Homepage des verschollenen Bergsteigers ein Statement, das einem Nachruf gleichkommt: "Er folgte stets seinem Weg und lebte seinen Traum. Das nun Geschehene werden wir als Teil davon akzeptieren."

In einer Mitteilung der Nationalparkverwaltung heißt es, dass Rettungskräfte bei einem Helikopterflug einen ausgedehnten Lawinenkegel, Kletterausrüstung und einen teilweise von Schnee bedeckten Körper gesichtet hätten. Wegen der anhaltend hohen Lawinengefahr und schlechten Wetters vor Ort sind derzeit keine Rettungs- oder Bergungsaktionen möglich. Eine offizielle Bestätigung für den Tod der drei Alpinisten gab es am Freitag nicht, aber Experten rechnen mit dem Schlimmsten. Die Überlebenschancen in einer Lawine sinken nach 15 Minuten gegen Null, es sei denn, der Verschüttete liegt in einem Hohlraum mit ausreichend Luft zum Atmen. Die Nationalparkverwaltung Parks Canada spricht den Familien und Freunden der Bergsteiger jedenfalls schon mal ihr aufrichtiges Beileid aus.

Vom Kletterwunderkind zur freien Begehung des Cerro Torre

David Lama wurde am 4. August 1990 als Sohn eines Nepalesen und einer Tirolerin in Innsbruck geboren und von Peter Habeler entdeckt, der 1978 zusammen mit Reinhold Messner den Mount Everest ohne Sauerstoff erstbestiegen hatte. Lama galt als Kletterwunderkind, er wurde zweimal Jugendweltmeister (2004, 2005) und gewann 2006 als 16-Jähriger als Erster den Vorstieg- und Boulder-Weltcup in einer Saison. Ab 2009 beendete er seine Sportkletterkarriere und wechselte von der Kletterhalle in die Berge. Einer seiner größten alpinistischen Erfolge war 2012 die erste freie Begehung der Kompressor-Route am Cerro Torre in Patagonien zusammen mit Peter Ortner. 2018 gelang ihm die Erstbesteigung des 6895 Meter hohen Lunag Ri in Nepal über den Westpfeiler.

Der Ötztaler Hansjörg Auer war in der Szene relativ unbekannt, bis er im Jahr 2007 die äußerst schwierige Route "Weg durch den Fisch" in der Marmolata-Südwand in den Dolomiten free solo kletterte, also ohne Seilsicherung. Dass jemand die 1200 Meter lange Route im Schwierigkeitsgrad "7b+" ungesichert klettert, galt vorher als undenkbar, Auer avancierte über Nacht zum Shootingstar. Bis 2008 war er Sport- und Mathematiklehrer, dann wurde er Profi-Alpinist, er gehörte wie David Lama und Jess Roskelley zum Athleten-Team des Ausstatters The North Face. Zu seinen bergsteigerischen Erfolgen zählen die Erstbesteigung des Kunyang Chhish (7400 Meter) im Karakorum über die 2700 Meter hohe Südwestflanke. Außerdem gelangen ihm Erstbegehungen und Wiederholungen in Patagonien, Pakistan und im Yosemite Valley.

Jess Roskelley, aufgewachsen in den US-Bundesstaaten Washington und Montana, war 2003 mit 20 Jahren der jüngste Amerikaner, der den Gipfel des Mount Everest erreichte; dieser Rekord wurde 2010 vom damals 16-jährigen Jordan Romero abgelöst. Er begann seine alpinistische Laufbahn als Bergführer am Mount Rainier, später erschloss er einige neue Routen in Alaska, unter anderem am Mount Wake und an der Citadel. Laut seinem Vater John Roskelley, ebenfalls ein erfahrener Bergsteiger, meldete sich sein Sohn nach dem Besteigungsversuch am Howse Peak am Mittwoch nicht mehr, so dass er die Rettungskräfte alarmierte.

"An der Grenze zum Unmöglichen"

Es habe sich wahrscheinlich um eine riesige Lawine der Kategorie 3 gehandelt, einen Abgang von etwa tausend Tonnen Schnee, berichtete die Nationalparkbehörde. Die Hubschrauberbesatzung habe "überzeugende Beweise" für den Tod der drei Alpinisten gesehen, hieß es. Aus Rücksicht auf die Familie und Freunde der Betroffenen wollten die Behörden zunächst keine genaueren Angaben machen. Ausrüster The North Face bestätigte die Identitäten der vermissten Bergsteiger auf seiner Website. Die Rettungskräfte warteten am Freitag auf ein Wetterfenster, um Suchteams losschicken zu können. Wegen starker Schneefälle in den vergangenen Tagen gab "Avalanche Canada" im Bereich des Banff-Nationalparks Lawinenwarnungen aus, diese galten aber nicht für das Gebiet um den Howse Peak.

David Lama hat nie das Risiko seiner Unternehmungen verleugnet. Wie die meisten Spitzenalpinisten hat er immer versucht, es mit bestmöglicher Vorbereitung zu minimieren. "Natürlich kann eine Verkettung unglücklicher Umstände bei einem solchen Abenteuer zu einem fatalen Ausgang führen. Dieser Tatsache darf man sich nicht verschließen", hatte er auf seiner Website geschrieben. Wer die alpinistischen Grenzen ausreizt wie Lama, Auer und Roskelley, ist sich bewusst, dass man dabei scheitern kann. "Ich suche nach Projekten, die noch keiner gemacht hat, immer an der Grenze zum Unmöglichen", sagte David Lama der SZ. Dass dabei auch der Tod möglich sein kann, mag wahrscheinlich klingen - aber glauben möchte man es trotzdem nicht.

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