Süddeutsche Zeitung

Bahnverkehr:Geheimnisvoller Unfall

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Neun schwer Verletzte, 41 leicht Verletzte. Wieso konnte ein Regionalzug in Meerbusch mit einem stehenden Güterzug kollidieren? Die Ermittlungen laufen.

Von Thilo Adam

Es habe sich angehört, "als sei ein Haus explodiert", berichtet ein Anwohner der Bahnstrecke in Meerbusch-Osterath. Wie Spielzeug sprangen die tonnenschweren Güterwaggons aus den Gleisen, als hier am Dienstag ein Regionalzug mit 173 Menschen auf einen stehenden Güterzug auffuhr. Nach ersten Erkenntnissen hätte der Personenzug der privaten Bahngesellschaft National Express den Streckenabschnitt nicht befahren dürfen. "Das gilt für alle Gleisabschnitte, auf denen Fahrzeuge stehen", sagt Gerd Münnich, Sprecher der Bundesstelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung (BEU). Warum der RE7 auf der Fahrt von Köln nach Krefeld dennoch weiterfuhr, ist bislang unklar. Man schließe weder technische noch menschliche Fehler aus, sagt Münnich.

Bei dem Zusammenprall hatte sich der vordere Wagen des Regionalexpress stark verkeilt, weitere Waggons entgleisten. Nach Angaben der Bundespolizei wurden neun Insassen schwer, 41 leicht verletzt. Mehrere Reisende berichten übereinstimmend, dass sie der Lokführer Sekunden vor dem Aufprall aus den vorderen Wagen in den hinteren Zugteil geschickt hatte. "Das war sehr geistesgegenwärtig", sagt BEU-Sprecher Münnich. So seien weitaus schlimmere Folgen verhindert worden. Fast zwei Stunden lang mussten die Menschen weiter in dem Zug ausharren: In der herabgerissenen Oberleitung lauerte mit 15 000 Volt Hochspannung eine tödliche Gefahr, die von Spezialisten erst gebannt werden musste.

An der Unfallstelle konnten am Mittwochmorgen dann die Fahrtenschreiber beider Züge sichergestellt werden. Informationen sammeln die Ermittler auch in den Stellwerken, den Funkverkehr wollen sie ebenfalls überprüfen. Bislang ergebe sich das Bild, dass der leere Güterzug von DB Cargo ordnungsgemäß gehalten und auf das Signal zur Einfahrt in den Bahnhof gewartet habe. Damit sei die spätere Unfallstrecke für den nachfolgenden Verkehr eigentlich gesperrt gewesen. Die BEU stuft die Kollision als schweren Unfall ein, "das heißt, wir gehen von einer Schadenshöhe von mindestens zwei Millionen Euro aus", sagt Gerd Münnich.

"Wir sind vor allem erleichtert, dass nichts Schlimmeres passiert ist", sagt Marcel Winter, Sprecher des Bahnbetreibers National Express. "Und wir hoffen, dass unseren Lokführer keine Schuld trifft." Auf zwei Verbindungen - dem RE 7 (Rhein-Münsterland-Express) sowie dem RB 48 (Rhein-Wupper-Bahn) - befördert der National Express nach eigenen Angaben insgesamt 20 Millionen Fahrgäste pro Jahr.

Wann der Betrieb auf dem betroffenen Streckenabschnitt wieder aufgenommen werden kann, ist unklar. Die Deutsche Bahn begann am Mittwochnachmittag mit einem Schienenkran die Waggons zu bergen. Erst, wenn diese Arbeiten abgeschlossen sind, lassen sich die Schäden an der Infrastruktur beurteilen.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2017
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