Süddeutsche Zeitung

Baden-Württemberg:Gefühlter Frühling

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In Karlsruhe beginnt am Freitag bei minus zwei Grad und mit 30 Hartgesottenen die Freibadsaison. Im "Sonnenbad" ist man stolz darauf, seine ganz eigene Zeitrechnung in Sachen Jahreszeiten zu pflegen.

Von Josef Kelnberger

Ja, es ist Frühling geworden, endlich. Wer daran zweifelt angesichts der kalten Luftmassen polaren Ursprungs, die gerade Deutschland heimsuchen, muss nur die richtige Kategorie von Frühling wählen. Kalendarisch betrachtet beginnt er am 20. März, meteorologisch am 1. März, phänologisch dann, wenn die Pflanzenwelt zu sprießen beginnt. Daneben aber gibt es individuelle Formen des Frühlingsbeginns. Gerade ältere Leute entwickeln im Lauf ihres Lebens eine gefühlte Wahrheit davon, "wann es warm wird" - zum Beispiel an einem bestimmten Tag im März, wenn der Sohn, ein rechter Sonnenschein, Geburtstag feiert. Eine weitere individuelle Form des Frühlingsbeginns ist Ende Februar der Karlsruher Frühling.

Am Freitag, um Schlag zehn Uhr, sprangen etwa 30 Badegäste ins Becken des Karlsruher Sonnenbads, vom Trockenen aus verfolgt von mindestens ebenso vielen Medienschaffenden. Der Auftakt der deutschen Freibadsaison (Motto: "Sprung in den Frühling") wird seit Jahren hier im Karlsruher Westen gefeiert. Das Wasser im Fünfzig-Meter-Becken ist auf 28 Grad geheizt, die Außentemperatur laut Smartphone-App: minus zwei Grad. Nach Angaben der Betreiber ist das Sonnenbad bundesweit als erstes Freibad nach der Winterpause wieder geöffnet. Eine gefühlte Wahrheit möglicherweise auch dies, aber daran wird niemand mehr rütteln.

Von nah und fern kommen die Gäste. Ein junge Frau aus Lüneburg hat ihrer Mutter zum 70. Geburtstag einen einwöchigen Aufenthalt in Karlsruhe geschenkt, mit dem Besuch im Sonnenbad als Höhepunkt. Wie man auf so eine Idee kommen kann? Sie habe einen Bericht auf RTL plus gesehen, sagt die junge Lüneburgerin. Tolles Geschenk, pflichtet ihr die Mutter bei.

Als Stargast darf sich in diesem Jahr Maurits van Wijde fühlen, Niederländer aus der Nähe von Arnheim, Beamter von Beruf, gekleidet von Kopf bis Fuß in die Montur der niederländischen Fußball-Nationalmannschaft. Er sei ein Fan von Arjen Robben, sagt er. Warum er dann ein Trikot mit dem Namen von Robin van Persie trägt, kann er nicht so recht erklären. Als Grund für seinen Trip nach Karlsruhe nennt er: Sein Hobby sei "In-Klamotten-Schwimmen". Er habe im Internet erfahren, dass das im Sonnenbad erlaubt ist.

Das Sonnenbad hat viele zahlungskräftige Freunde - und sehr viele Sponsorenlogos

Und so sprang am Freitag ein Oranje-Klecks ins Karlsruher Wasser. Außerdem zu sehen: Strandkimono, Nachthemd, Wikingermütze. Manche trugen Sonnenbrille auf der Nase, andere einen Regenschirm in der Hand, passend zum Motto des Jahres:

Ob Schnee, Sonne oder Regen,

ins Sonnenbad wir gehen.

Die Frühlingspoesie ist Teil des Spektakels, das dem "Freundeskreis Sonnenbad" zu verdanken ist. Er gründete sich, als die Stadt Karlsruhe um die Jahrtausendwende das in der Nähe des Rheinhafens im Schatten eines Heizkraftwerks gelegene Bad schließen wollte. Mittlerweile zählt der Kreis 620 Mitglieder - Jahresbeitrag: 70 Euro - und überweist der Stadt Karlsruhe für den Betrieb jährlich eine fünfstellige Summe. Sogar sechs Stellen hatte die Summe, die man für eine umfangreiche Sanierung von Umkleiden und Sauna mobilisierte. Im Gegenzug prangen nun auf den Freibad-Anlagen jede Menge Sponsorenlogos.

Der Karlsruher Frühling ist also bestens vermarktet. Er endet jedes Jahr mit der Schließung des Sonnenbads im Dezember.

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Quelle:
SZ vom 24.02.2018
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