Süddeutsche Zeitung

Raserprozess:Lebensinhalt: Auto

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Von Verena Mayer, Berlin

Februar 2016. Zwei Autos liefern sich in der Berliner Innenstadt ein Wettrennen. Sie rasen mit 160 Stundenkilometern über den Kurfürstendamm, über rote Ampeln, bis eines der beiden Autos an einer Kreuzung mit einem Jeep kollidiert, er hatte Grün. Der Rentner darin ist sofort tot. Der Fall hat Anfang 2017 Rechtsgeschichte geschrieben: Es war das erste Mal in Deutschland, dass Autoraser wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Das Urteil wurde später vom Bundesgerichtshof aufgehoben, weil der zumindest bedingte Vorsatz, der für eine Verurteilung wegen Mordes nötig ist, nicht ausreichend nachgewiesen worden sei. Seit November wird daher vor dem Berliner Landgericht neu verhandelt.

Was man in all den Jahren nicht erfahren hat: Was denken eigentlich die Angeklagten - Marvin N. und Hamdi H., inzwischen 27 und 29 Jahre alt - über ihre Tat? Die beiden Männer saßen die meiste Zeit zwischen ihren Anwälten und starrten an die gegenüberliegende Wand. Zumindest einer hat nun sein Schweigen gebrochen. Marvin N. will allerdings nicht selbst reden, er lässt einen Verteidiger eine Erklärung verlesen. Darin erzählt er, dass er immer gearbeitet hat, erst vier Jahre lang als Zeitsoldat bei der Bundeswehr, später bei einer Security-Firma.

Aber sein eigentlicher Lebensinhalt war sein Auto, ein AMG-Mercedes für 50 000 Euro, für den er jeden Monat 651 Euro Leasingrate bezahlte. 380 PS, mit breiten Reifen und vielen Extras. Seine Freundinnen durften sich in dem Auto weder schminken noch Wasser trinken, aus Angst, der Mercedes könnte schmutzig werden. Und Marvin N. fuhr damit sehr schnell. Entweder nachts alleine durch die Stadt oder illegale Wettrennen gegen andere. "Ich dachte, ich sei einer der wenigen Menschen, die das Fahren eines Autos bis zur Perfektion beherrschen", sagt N.

Daher habe er auch nicht gezögert, als er in jener Februarnacht 2016 mit seiner Freundin unterwegs war und an einer Ampel neben dem Audi A6 von Hamdi H. zu stehen kam. Die beiden kannten sich, Marvin N. wusste, dass H. den Spitznamen "Der Transporter" hatte, nach der Filmreihe, in der ein Actionheld in einem Audi über Rampen auf einem Flugfeld rast. Die beiden gaben sich Handzeichen, ließen die Motoren aufheulen und fuhren los.

Der psychiatrische Sachverständige hält Marvin N. für einen ruhigen und gefassten Menschen, der sehr anpassungsfähig sei. Zwar könne sein Verhältnis zu seinem Auto als etwas zwanghaft gesehen werden, psychisch krank sei er aber nicht. Marvin N. sagt, inzwischen bereue er "das Maß an Selbstüberschätzung". Auch Hamdi H. habe sich in keinem seelischen Ausnahmezustand befunden, der seine Schuldfähigkeit mindere.

Der Sohn des getöteten Rentners ist wie an jedem Verhandlungstag im Gerichtssaal. N.s Einlassung bezeichnet er als Taktik. Tatsächlich könnte von N.s Aussage einiges abhängen: Wenn er beim Rasen nämlich so sicher war, dass ihm nichts passieren würde, weil er alles unter Kontrolle habe - dann kann er auch den Tod eines Menschen nicht billigend in Kauf genommen haben. Das aber ist die Voraussetzung für eine Verurteilung wegen Mordes. Das Berliner Landgericht will am 26. März sein Urteil fällen.

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SZ vom 06.03.2019
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