Süddeutsche Zeitung

Altersunterschied:Mon Dieu

Lesezeit: 4 min

Er ist 39, sie 64 - verrückt! Über nichts wird derzeit mehr getratscht als über den Altersunterschied zwischen Emmanuel Macron und seiner Frau. Aber warum interessieren uns eigentlich immer nur Äußerlichkeiten?

Von Martin Zips

Der Sturm begann als Brise. "Ungewöhnlich" nannte die New York Daily News Emmanuel Macrons Ehe mit seiner knapp 25 Jahre älteren Frau, erwähnte aber auch, dass zwischen Melania und Donald Trump ebenfalls ein paar Jahre (23 nämlich) liegen. Der Breaking-News-Sender CNN schickte gleich nach der Wahl in Frankreich eine Reporterin mit Kamerateam vor genau jene Schule, in der sich Brigitte Trogneux und der heutige Präsidentschaftskandidat einst kennengelernt haben. Und die britische Daily Mail grub private Fotos aus, auf denen der damals noch 15 Jahre junge Emmanuel Macron seiner damals noch 40 Jahre alten Lehrerin einen Wangenkuss gab.

Ja und? Was geht uns das eigentlich an?

Dann frischte die Brise auf. Der britische Telegraph nannte Frau Macron plötzlich eine "Anhängerin von Peroxid" und befand, ihre bronzefarbene Haut verweise auf "regelmäßige Sonnenanbetung mit der kleinen, raffinierten Hilfe einer Flasche St. Tropez dann und wann". Die Bunte wiederum recherchierte, dass Brigitte zwar Emmanuels erste Leidenschaft sei, danach aber gleich seine Bücher, sein Beruf, Thaiboxing und das Klavier folgten. Die arabische Website Al-Modon wiederum fühlte sich bei den Macrons an Napoléon und seine sechs Jahre ältere Ehefrau Joséphine erinnert und die französische Ausgabe der Huffington Post empörte sich über einen FAZ-Artikel, in dem es unter anderem hieß: "Trogneux sieht aus wie eine sympathische Freundin von Jane Fonda und strahlt eine Lebensfreude aus, als hätte sie die letzten vier Jahrzehnte in Saint-Tropez gelebt und gefeiert." Das freilich klang ein bisschen wie: Das gibt's doch nicht! Der kleine Nick hat Brigitte Bardot geheiratet!

Warum interessieren uns immer nur Äußerlichkeiten? Sollte die Menschheit nicht schon viel weiter sein? Man könnte ja auch mal jenseits der Politikspalten der Zeitungen - zum Beispiel beim Friseur - darüber reden, dass dem Kandidaten Macron Integrationsprogramme und eine bessere Bildung offenbar wichtig sind. Oder, dass er im Gegensatz zu seiner politischen Konkurrenz keine Angst vor Einwanderern hat. Oder darüber, dass der ehemalige Wirtschaftsminister die Euro-Zone reformieren und nicht abschaffen möchte. Dass sein Elan vielleicht eine Chance für Europa ist. Aber gut, erst einmal lassen wir uns natürlich gerne vom Bild-Flirt-Coach unter der Überschrift "Er 39, sie 64!" erklären: "Ab 15 Jahren Altersunterschied gibt es eine statistische Auffälligkeit für das Scheitern von Beziehungen."

Das also war das große Thema dieser Woche: der Altersunterschied. Und fast alles, was so gesagt und getippt und gesendet wurde, haute irgendwo anders jemandem die Sicherung raus. "Die Aufregung um Macron und seine Frau ist einfach nur sexistischer Bullshit", befand eine Kolumnistin des Web-Frauenmagazins Edition F. Die Kommentatorin des britischen Guardian wiederum geißelte die "abgrundtiefe Garstigkeit" ihrer Daily-Mail-Kollegin, die dem französischen Politiker folgende Worte in den Mund gelegt hatte: "Wie bringe ich die Welt dazu, mich ernst zu nehmen, wenn die denken, dass ich ein Muttersöhnchen mit einer 25 Jahre älteren Ehefrau bin?" Ihr Resümee: "Begrabt die Aufregung über Macrons Ehe - wir sollten lieber Faschisten bekämpfen."

Macron sagte einmal, die Leute hätten Probleme, etwas zu akzeptieren, das aufrichtig ist

Da war aus der Brise längst ein Sturm geworden. Der wirklich peinliche Stern-Hashtag "#AufAltenPferdenLerntMannReiten" muss da nur noch der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Sicher: Klatsch und Tratsch sind ein wichtiger Kitt der Gesellschaft: Aha, die Kanzlerin trägt also noch immer den Nachnamen ihres ersten Mannes? Und der Minister hat was mit einer Schauspielerin? Darüber spricht man gerne. Auch die Macrons kokettieren mittlerweile damit.

Doch viel zu oft steht sich der Mensch beim Denken selbst im Weg. "Die Leute haben Probleme, etwas zu akzeptieren, das aufrichtig und einzigartig ist", hatte Emmanuel Macron einmal seine Liebe erklärt. Mit diesem Satz hätte eigentlich Schluss sein müssen, mit der Diskussion. Doch es ging erst richtig los.

"Don't judge a book by its cover", beurteile ein Buch nie nach seinem Umschlag, so lautet ein philanthropischer Rat. Schon in der Bibel, Erstes Buch Samuel, rät Gott dem Menschen, sich von Äußerlichkeiten nicht beeindrucken zu lassen. Funktioniert aber nicht, weil sich Gott auch die "kognitive Verzerrung" ausgedacht hat, von der Psychologen berichten. Und so kann es sein, dass der Mensch bei Joschka Fischer immer nur an jene Turnschuhe denkt, die der während seiner Vereidigung als hessischer Umweltminister getragen hat. Ist zwar schon 32 Jahre her, aber egal. Den kanadischen Premier Justin Trudeau indes hält man vielleicht schon deshalb für begabt, weil er sich gut kleidet.

Es wird problematisch, wenn manche - wie schon Sokrates - innere und äußere Schönheit zusammendenken. Die Psychologin Judith Langlois von der Universität Texas will einmal herausgefunden haben, dass das sogenannte Attraktivitätsstereotyp (wer schön ist, der ist auch nett) sich bereits bei Babys im Alter von sechs Monaten nachweisen lässt. Ist das nicht schlimm, wenn Aussehen tatsächlich ständig unsere Wahrnehmung verzerrt?

"Wenn wir uns Gedanken über den Altersunterschied von Paaren machen", sagt Lars Penke, Professor für Biologische Persönlichkeitspsychologie an der Universität Göttingen, "so spielt bei uns Säugetieren immer auch das Thema Fortpflanzung eine Rolle. Biologisch gesehen, geht es da zum Beispiel um die Frage: Kann eine Frau noch Kinder kriegen?" Für Penke ist die Sache klar: "Warum wir bestimmte Merkmale präferieren und andere ablehnen, das hat oft eine ganz klare evolutionäre Funktion." Die Anthropologin Katrin Schäfer von der Universität Wien denkt ganz ähnlich: "Emmanuel Macron kann mit seiner Frau keine Kinder mehr bekommen. Vielleicht beschäftigt einfach nur diese Konsequenz die Menschen, die ja andersherum (er älter, sie jünger) eben nicht gegeben wäre."

Die ganze Debatte ist also nichts anderes als ein Ausdruck des menschlichen Zwangs, jederzeit Ausschau nach "reproduktivem Material" zu halten. Im Grunde eine ganz üble Sache, die bereits seit Jahrtausenden Nährboden für Unfrieden bildet. Zum Glück jedoch verfügt der Mensch im Gegensatz zum einfachen Säugetier noch über was ganz anderes: die Vernunft. Und die sagt ihm: Ist doch großartig, was so alles möglich ist. Es lebe unsere Freiheit.

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Quelle:
SZ vom 29.04.2017
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