Süddeutsche Zeitung

Zweiter Weltkrieg:"Auschwitz hat sich in meine Seele eingebrannt"

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Von Helmut Zeller, München

Der Jubel war unbeschreiblich. Ein Moment atemloser Stille. Dann stiegen die Freudenschreie tausender Menschen in den Himmel über Dachau. Andere, zu schwach zum Sprechen, krochen mehr tot als lebendig aus den Baracken und zu ihren Befreiern.

Die jungen amerikanischen Soldaten, die am 29. April 1945 das Konzentrationslager Dachau befreiten, waren auf den Schock nicht vorbereitet. Jerome D. Salinger, dem Autor des Kultromans "Der Fänger im Roggen", gingen die Nerven durch, als er in einem Außenlager verbrannte Häftlinge sah. Mehr als 200 000 Menschen aus ganz Europa litten in Dachau und seinen Außenlagern, 41 500 überlebten nicht.

Einen Tag später, am Nachmittag des 30. April, rückten US-Truppen in die "Hauptstadt der Bewegung" ein. München, in dem die Mörder ihren Aufstieg begonnen hatten, lag in Trümmern.

Am 8. Mai war der Zweite Weltkrieg zu Ende, und heute wünschen sich 58 Prozent der Deutschen einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge einen "Schlussstrich". Sie wollen abschließen mit 60 Millionen Toten, davon Millionen Russen und Angehörige anderer sowjetischer Völker, mit dem Genozid an Roma und Sinti und dem präzedenzlosen Völkermord an den europäischen Juden mit sechs Millionen Toten, davon eineinhalb Millionen Kinder.

Zum 70. Jahrestag des Kriegsendes ist indes Erinnerung angesagt. In Dachau hat am 3. Mai in der KZ-Gedenkstätte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor mehr als 100 ehemaligen Häftlingen der Opfer des Nazi-Terrors gedacht. Politiker mahnen das "Nie wieder!" an. Aber hat Europa aus dem Holocaust gelernt? Dieser Frage geht die Süddeutsche Zeitung mit einem Zeitzeugen-Forum nach.

Die ungarische Philosophin und Holocaust-Überlebende Agnes Heller, Nachfolgerin von Hannah Arendt an der New School for Social Research in New York, nimmt daran teil, die Münchner Psychotherapeutin Eva Umlauf, die als zweijähriges Kind aus Auschwitz-Birkenau befreit wurde, der Israeli Abba Naor, der das Ghetto im litauischen Kaunas und Dachau überlebte, und der ehemalige Wehrmachtsdeserteur Richard Wadani aus Wien, der mit den Briten kämpfte.

Auschwitz verpflichtet zur Wachsamkeit: In Europa erstarkt Antisemitismus. Rechtsextreme, fremdenfeindliche und nationalistische Bewegungen gefährden die Demokratie und verbreiten Hass. Die Zeitzeugen möchten darüber diskutieren, wie Politik und Gesellschaft darauf reagieren können, und über die größte Herausforderung am Beginn dieses Jahrtausends: den Umgang mit Flüchtlingen aus Kriegs- und Armutsregionen. Ein Europa, das sich abschottet, hätte nichts aus dem Zivilisationsbruch, den Auschwitz darstellt, gelernt.

Das SZ-Forum findet am 7. Mai um 19. 30 Uhr in der Allerheiligen-Hofkirche statt - mehr Informationen gibt es hier. Der Eintritt ist frei

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Quelle:
SZ vom 21.04.2015
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