Süddeutsche Zeitung

Zweite Stammstrecke in München:Seehofer warnt vor einem Finanzgrab

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Er hält sie für notwendig, will sie aber "nicht um jeden Preis bauen": Weil der zweite S-Bahn-Tunnel in München nach neuen Berechnungen teurer wird als gedacht, warnt Ministerpräsident Seehofer vor dem Projekt. Dabei ist die Staatsregierung an der Entwicklung nicht ganz unschuldig.

Von Mike Szymanski und Marco Völklein

Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat nach neuen Kostenschätzungen für einen zweiten S-Bahn-Tunnel durch die Münchner Innenstaadt davor gewarnt, dass das Großprojekt zu einem "Finanzgrab" wird. "Ich will die Stammstrecke. Sie ist notwendig", sagte Seehofer der SZ. "Aber wir können sie nicht um jeden Preis bauen." Die Deutsche Bahn geht mittlerweile von Kosten in Höhe von knapp 2,6 Milliarden Euro für den neuen Tunnel aus. Das geht aus einem internen Papier der Bahn hervor, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Bisher war immer von etwa zwei Milliarden Euro die Rede gewesen.

Um vor Überraschungen gefeit zu sein, habe die Staatsregierung sich entschieden, regelmäßig die Kosten zu kontrollieren, besonders in der Planungsphase. Ein Ausstieg bei ausufernden Kosten gehöre zu den "Reaktionsmöglichkeiten", die man sich vorbehalten habe, erklärte der Ministerpräsident. Inwieweit die neue Strecke teurer als bislang eingeplant werden könne, hänge auch vom Bund ab, erklärte Seehofer weiter. Die Frage, welches Risiko der Bund übernehme, sei bislang noch offen.

In der internen Bahn-Übersicht beziffern die Planer des Konzerns die Kosten aktuell auf 2,57 Milliarden Euro. Bislang hatten Bahn und Freistaat stets beteuert, der zehn Kilometer lange Tunnel werde nicht mehr als 2,047 Milliarden Euro kosten. Auch trotz der neuen Zahlen aus dem Bahn-Konzern hält Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) an dieser Darstellung fest. Allerdings seien die Berechnungen der Bahn auf der Grundlage der Fertigstellung des Tunnels im Jahr 2019 kalkuliert worden. Selbst die Bahn räumt daher ein, dass es bei einer zeitlichen Verzögerung um mehrere Jahre zu den genannten Kostensteigerungen kommen könnte - und geht in ihrem Papier mittlerweile von einer Inbetriebnahme nicht vor 2022 aus.

Daher plädieren Tunnelgegner wie Andreas Barth vom Fahrgastverband Pro Bahn dafür, sich rasch von der zweiten Röhre zu verabschieden. Schon allein, weil die Baugenehmigungen für den Tieftunnel weiter auf sich warten lassen, seien "weitere Zeitverzögerungen und damit Kostensteigerungen garantiert", glaubt Barth. Doch die Staatsregierung drücke "sich weiter davor, eine klare Entscheidung zu treffen". So hatte das Kabinett vor fast zwei Jahren ein "13-Punkte-Sofortprogramm" zur Ertüchtigung der S-Bahn beschlossen, umgesetzt wurde davon aber bislang nichts - unter anderem, weil der Freistaat "nur auf dieses eine Großprojekt setzt, das ohnehin nicht kommen wird", kritisiert Barth.

Auch Markus Ganserer, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im bayerischen Landtag, plädierte für einen raschen Ausstieg - "bevor man noch weiteres Geld verbrennt". Mittlerweile liefen die kalkulierten Summen "auf Transrapid-Größenordnungen zu", erklärte Ganserer am Donnerstag. Angesichts der neuen Zahlen sei es außerdem angebracht, eine neue Wirtschaftlichkeitsberechnung anzustellen - dann werde man sehen, dass das Projekt wegen der gestiegenen Kosten bereits jetzt schon unter die Schwelle gerutscht sei, bis zu der die Bundesregierung überhaupt bereit sei, den Bau finanziell zu fördern.

Die Freien Wähler wiederum, ebenfalls klare Gegner des Tieftunnels, hatten bereits vor mehr als einem Jahr zusammen mit der Haidhauser Anti-Tunnel-Bürgerinitiative eine Studie zur möglichen Kostenentwicklung vorgelegt - und damals Kosten zwischen 2,6 und schlimmstenfalls vier Milliarden Euro vorausgesagt. "Die nun auf dem Tisch liegenden Kalkulationen der Bahn bestätigen unsere Befürchtungen drastisch", erklärte Stadtchef Michael Piazolo. Die Staatsregierung müsse jetzt "endlich gegenüber den Bürgern ehrliche Transparenz bei diesem Tunnelprojekt herstellen" - und letztlich "die Reißleine ziehen".

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Quelle:
SZ vom 04.04.2014
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