Süddeutsche Zeitung

Zum 90. Geburtstag:Wie Hans-Jochen Vogel München erneuert hat

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Von Dominik Hutter

"Wenn ein Pferd im Kuhstall zur Welt kommt, ist es immer noch ein Pferd." Der Satz ist inzwischen Legende. Gesagt hat ihn Hans-Jochen Vogel, dem vor der Kommunalwahl 1960 sein Geburtsort Göttingen vorgeworfen wurde - obwohl der damals erst 34-jährige Jurist aus einer alteingesessenen Münchner Familie stammt. 64,2 Prozent holte Vogel schließlich gegen seinen CSU-Widersacher Josef Müller, den "Ochsensepp", und wurde damit der jüngste Oberbürgermeister einer europäischen Millionenstadt.

Sechs Jahre später kam er sogar auf bis heute unerreichte 78 Prozent. Das Münchner Rathaus als Sprungbrett für eine lange politische Karriere. Noch heute hat es eine besondere Bedeutung, wenn sich der nunmehr bald 90-jährige Grandseigneur der Münchner SPD zu Wort meldet. Als Vogel im März 2014 im Augustinerkeller ans Mikrofon trat und Dieter Reiter lobte, war dies für den Kandidaten der Ritterschlag.

Großer Zuspruch für den OB

Die von 1960 bis 1972 dauernde Amtszeit des zweiten Nachkriegs-Oberbürgermeisters wird meistens mit den Olympischen Sommerspielen und dem U-Bahn-Bau verbunden. Tatsächlich hatte Vogel zahlreiche Probleme zu meistern, die auch aus der heutigen Perspektive vertraut erscheinen. Schon im April 1960, kurz nach Vogels Amtsantritt, verabschiedete der Stadtrat "Maßnahmen zum Abbau des Rassen- und Völkerhasses". Damals herrschte die Sorge, München könnte erneut zu einem Zentrum des Rechtsradikalismus werden.

Vogel lagen vor allem der Kampf gegen Antisemitismus sowie der Kontakt zu ausgewanderten Münchner Juden am Herzen. Es war ein großer Moment, als im September 1964 die erste offizielle Schülerdelegation aus Israel auf dem Marienplatz stand. Und ein sehr düsterer, als im Februar 1970 ein Attentat auf ein jüdisches Altenheim verübt wurde, bei dem sieben Bewohner ums Leben kamen.

München in den Sechzigern - das war Aufbruch und Protest gleichermaßen. Die Stadt wuchs in den zwölf Amtsjahren Vogels um rund 300 000 Einwohner, das ist in etwa mit dem heutigen Tempo vergleichbar. Es entstanden Trabantensiedlungen am Stadtrand, der innovative SPD-Mann schwor angesichts chaotischer Straßenverhältnisse dem Ideal der autogerechten Stadt ab.

Vogel wechselte in die Bundespolitik

So manches kommunale Projekt wurde deutlich teurer als ursprünglich geplant, das Olympiastadion etwa. Beim Bau des Stachus-Untergeschosses gab es gar einen handfesten Skandal, weil die Behörden Kostensteigerungen vertuscht hatten. Bis heute als Fehler gilt die Entscheidung, einen intakten Jugendstilbau am Marienplatz für die Schießschartenarchitektur des Kaufhofs zu opfern.

Für die Wahl 1972 kandidierte Vogel nicht mehr. Heftige Flügelkämpfe erschütterten die SPD, Münchens OB galt plötzlich als Rechter, weil er linke Ideen wie den kostenlosen Nahverkehr utopisch fand. Vogel wechselte in die Bundespolitik. 1981 wurde er für wenige Monate noch einmal Bürgermeister: in Berlin.

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Quelle:
SZ vom 02.02.2016
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