Süddeutsche Zeitung

Zivildienstleistende in München:Schlag für die soziale Versorgung

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Der Plan von Schwarz-Gelb, die Wehrpflicht und den Zivildienst auf sechs Monate zu verkürzen, könnte die Stadt teuer zu stehen kommen. Die Zivis sind kaum mehr aus München wegzudenken.

B. Neff

Der Plan der neuen schwarz-gelben Bundesregierung, den Wehr- und Zivildienst von neun auf sechs Monate zu verkürzen, könnte München teuer zu stehen kommen. Bürger, ambulante Dienste, Wohlfahrtsverbände und Behindertendienste müssen, falls der Zivildienst künftig nur noch ein halbes Jahr dauert, mit Kosten von mehr als zwölf Millionen Euro rechnen - falls sie es schaffen, die Zivi-Stellen durch reguläre Arbeitsverhältnisse zu ersetzen.

Dies geht aus Zahlen des Sozialreferats hervor, das bereits vor drei Jahren dargestellt hatte, welche Konsequenzen sich aus einem Wegfall des Zivildienstes ergeben würden. Die rot-grüne Bundesregierung hatte den Zivildienst im Oktober 2004 von zwölf auf neun Monate verkürzt, aber bereits im Jahr 2000 war - vor allem von den Grünen - über die Abschaffung von Wehr- und Zivildienst nachgedacht worden.

Deshalb schilderte Sozialreferent Friedrich Graffe dem Stadtrat, wie München ohne Zivis aussehen würde. Er machte folgende Rechnung auf, die nach wie vor gültig ist: Etwa zwei Drittel der etwa 1500 in München belegten Zivi-Stellen könnten zu neuen Arbeitsplätzen für un- und angelernte Arbeitskräfte umfunktioniert werden, was etwa tausend neue Jobs zur Folge hätte. Diese allerdings wären weitaus teurer als die Zivi-Stellen, die im Jahr (beim Neun-Monate-Dienst) mit 15 Millionen Euro zu Buche schlagen. Stadt, Bürger und Wohlfahrtsverbände müssten daher ganz ohne Zivis mit Mehrkosten von 22 Millionen Euro rechnen.

Der geringe Zivi-Stundensatz von elf Euro ermöglicht es derzeit noch vielen alten Menschen, sich von einem Zivildienstleistenden bei der hauswirtschaftlichen Versorgung oder der Pflege helfen zu lassen, ohne dafür Geld vom Amt zu beantragen. Müssten sie dafür beispielsweise Personal vom ambulanten Dienst anfordern, wäre für dieselbe Leistung ein Stundensatz von 26 Euro fällig, also mehr als doppelt so viel, für alte Menschen mit geringem Einkommen unerschwinglich.

Zwar sollen Zivi-Stellen in den etwa 580 Münchner Einrichtungen, die als anerkannte Zivildienststellen gelten, arbeitsplatzneutral sein, also nur zusätzliche Hilfe bieten, ohne in den Stellenschlüssel eingerechnet zu sein. Die Realität ist aber oft eine andere. Vor allem aus der individuellen Betreuung Schwerbehinderter sind Zivis kaum noch wegzudenken. Schwerbehinderte junge Menschen würden ihr Studium ohne die Begleitung von Zivis kaum schaffen, ähnlich wichtig sind die Zivis als Fahrer für behinderte Kinder.

Bei der Vereinigung Integrations-Förderung (VIF) zum Beispiel sind derzeit 65 Zivis beschäftigt und eigentlich nicht zu ersetzen, ohne die Kosten massiv zu erhöhen. VIF-Sprecher Claus Fussek sagte zur SZ, man habe zwar auf den neunmonatigen Zivildienst "beizeiten reagiert und versucht, mit Sozialpraktikanten und fest angestellten Laienkräften zu arbeiten", aber die müssten auch erst einmal gefunden werden. Bei einer weiteren Verkürzung des Zivildiensts, so Fussek, würden für die Wohlfahrtsverbände weitere Probleme entstehen.

Für dieses halbe Jahr lohnten sich dann Einführung und Fortbildung kaum noch. Fussek: "Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir das schaffen sollen." Ein neuer Sechs-Monate-Rhythmus bei den Zivis würde auch die Studien- oder Schulbegleitung Behinderter zusätzlich erschweren, weil sich schon der neunmonatige Zivildienst kaum mit den Studiensemestern und Schuljahren synchronisieren lasse. Beim Halbjahres-Zivildienst würde sich dieses Problem verschärfen.

Man darf gespannt sein, wie die CSU im Rathaus auf die Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung reagiert. Im Sommer 2000, als die damalige rot-grüne Bundesregierung erstmals die Verkürzung des Zivildienstes diskutierte, befürchtete die CSU "erhebliche Engpässe" für die soziale Versorgung. "Der Plan der Bundesregierung ist ein erneuter Schlag gegen die 'neue soziale Gerechtigkeit', wetterte die CSU damals.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2009
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