Süddeutsche Zeitung

Wolfratshauser Politik:Rückzieher beim kostenlosen Stadtbus

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Wegen der hohen Kosten und unklarer Rückzahlungen verkürzt der Wolfratshauser Stadtrat das Angebot an die Schüler. Senioren sollen dennoch im kommenden Jahr umsonst fahren.

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Der kostenlose Stadtbus für Schüler und Senioren in Wolfratshausen bleibt wohl ein Experiment. Denn angesichts der hohen Auslagen für die Schülertickets und der offenen Frage, wie viel die Stadt davon tatsächlich vom MVV zurückerhält, hat der Stadtrat nun die Notbremse gezogen. Das Angebot soll nicht mehr, wie im Juli beschlossen, zwei Jahre auf Probe gelten. Stattdessen hält man sich offen, ob es im kommenden Schuljahr überhaupt noch kostenlose Tickets gibt. In diesem Schuljahr haben 450 Wolfratshauser Schüler das Angebot genutzt und ein Jahresticket für den Ring 11 bekommen, mit dem sie auch nach Geretsried fahren und im August das gesamte MVV-Netz nutzen können. Die Stadt hat dafür mehr als 180 000 Euro gezahlt. Bürger, die 65 Jahre und älter sind, sollen von Januar an im kommenden Jahr in den Genuss von Freifahrten kommen, allerdings mit von der Stadt bezahlten Einzelfahrkarten.

Warum es zu dem Rückzieher kommt, erläuterten die Mitglieder der überfraktionellen Stadtbusgruppe. Der Beschluss sei "der Tatsache geschuldet, dass wir die Kosten begrenzen müssen", erklärte Manfred Menke (SPD). Zuvor hatte Hans Schmidt (Grüne) noch einmal erklärt, wie es zu dem Beschluss im Juli gekommen war. Er zählte alle Termine auf, an denen die Arbeitsgruppe mit Verwaltung, Landratsamt und MVV die Möglichkeiten eruiert hatte, wie man den Stadtbus für Schüler und Senioren kostenlos anbieten könne. Da es beim MVV keine Tickets für einzelne Linien, sondern nur für Zonen und - von kommendem Jahr an - Ringe gibt, habe man sich für die Ausgabe von Monats- beziehungsweise Jahrestickets entschieden. Grundlage dafür war laut Schmidt eine Aussage vom ÖPNV-Beauftragten im Landratsamt, Matthias Schmid. Der habe ihm in einem Telefongespräch am 8. Juli, also nur einen Tag vor der Stadtratssitzung, erklärt, dass die Stadt die Kosten zwar nicht "Spitz auf Knopf" zurückerhalte. Man könne aber "mit ungefähr dem gleichen Betrag als Rückzahlung rechnen". Weil sich mit den bezahlten Zeitkarten auch die Einnahmen des Stadtbusses erhöhten, sinke der von der Stadt zu zahlende Betriebskostenzuschuss. So habe es Schmid in dem nicht protokollierten Telefonat mitgeteilt. Später habe der Fachbereichsleiter gesagt, dass es sich um ein "Missverständnis" gehandelt habe: Die Erstattung erfolge auf Grundlage einer Fahrgastbefragung. Es sei also möglich, dass der MVV einen beträchtlichen Teil des ausgelegten Geldes behalte, weil zu Zeiten der Befragung kaum jemand mit dem Stadtbus fahre. Gegenüber der SZ hatte Schmid das jedoch schon am 11. Juli erklärt: "Man hat ihnen von Anfang an gesagt, dass das kein Nullsummenspiel wird", sagte der Fachbereichsleiter zu den Verhandlungen mit der Arbeitsgruppe.

Im Stadtrat kritisierten Schmidt und Menke den MVV. Die Stadtbusgruppe habe monatelang erfolglos versucht, Klarheit über die Abrechnungsmodalitäten des Tarifverbunds zu erhalten. "Nun sind wir vom Erfolg der kostenlosen Fahrten für die Schüler überwältigt und wissen nicht, wie viel wir von den circa 180 000 Euro für das Schuljahr 2019/2020 zurückvergütet bekommen", sagte Schmidt. Die Stadträte mussten eingestehen, dass sie sich verschätzt hatten. Schließlich hatte man in etwa mit Kosten von 40 000 Euro für Schüler und Senioren gerechnet. Der Stadtratsbeschluss sei umgesetzt worden "ohne Kenntnis, wie die Rückzahlung abläuft", räumte Menke ein. Man können nun positiv formulieren, dass der ÖPNV gestärkt werde. Das "große Fragezeichen" aber bleibe: "Wie intensiv wird der Stadtbus genutzt?"

Das will die Arbeitsgruppe nun genau beobachten - ohne die Fahrgastbefragung abzuwarten, die der MVV im kommenden Jahr durchführt, um die "reale Vertragskraft" der Linien zu ermitteln. Da die Ergebnisse erst mit zwei Jahren Verspätung an Landratsamt und Kommunen gehen, sollten die kostenlosen Tickets auch zwei Jahre lang ausgegeben werden. Angesichts der hohen Auslagen ist das den Stadträten aber zu riskant. Diesen Beschluss haben sie nun einstimmig aufgehoben.

Zuvor gab es viel Selbstkritik: Der einstimmige Beschluss im Juli sei "mit zu heißer Nadel gestrickt und zu schnell umgesetzt" worden, sagte BVW-Fraktionssprecher Josef Praller. Bürgermeister Klaus Heilinglechner (BVW) erinnerte daran, dass Hans Schmidt den Wortlaut in der Sitzung vor der Abstimmung noch selbst in den Computer eingetippt habe. "Man hat sich auf die Stadtbusgruppe verlassen, die in enger Kommunikation mit Landratsamt und MVV steht." Annette Heinloth (Grüne) wusste noch, dass sie in der Sitzung die Preise der Jahrestickets, die pro Schüler 407,60 Euro kosten, gegoogelt und hochgerechnet hatte. Wegen des vermeintlichen Nullsummenspiels habe sie aber zugestimmt. "Wir sind ganz schön verwegen losgaloppiert", sagte sie. "Das war bestimmt keine Sternstunde von wohlüberlegten Entscheidungen." Dass einige Stadträte nun verwundert seien, warum 450 Schüler das Geschenk gerne angenommen haben, verstehe sie indes nicht. Menke appellierte in dem Zusammenhang an alle Schüler und deren Eltern, den kostenlosen öffentlichen Nahverkehr nun auch zu nutzen. Wie man dann im kommenden Jahr mit den Schülertickets verfahre, "müssen wir sehen". Seine Erhebungen hätten inzwischen ergeben, dass nur etwa die Hälfte der Schüler in der Innenstadt überhaupt eine Chance hätten, den Stadtbus für ihren Schulweg sinnvoll zu nutzen.

Einig waren sich die Stadträte, an den kostenlosen Tickets für Senioren festzuhalten. Allerdings sollen diese keine Monatstickets á 42 Euro mehr bekommen, sondern von 1. Januar an Einzelfahrkarten auf Kosten der Stadt. Ob die Verwaltung die Tickets herausgibt oder ob sie die Senioren sie nach Vorlage von der Stadt ersetzt bekommen, will die Stadtbusgruppe noch entscheiden.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2019
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