Süddeutsche Zeitung

Anti-AfD-Protest in Wolfratshausen:"Sie sind wieder da"

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Die Lichterdemo auf dem Marienplatz beschwört in Reden und Musik den Widerstandsgeist gegen rechtsextreme und faschistische Tendenzen. Corona-Verharmloser Josef Hingerl greift zum "offenen Mikro".

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

Es ist die erste Demonstration, die Martin Lorenz organisiert hat. Erkennbar aufgeregt, aber am Ende hocherfreut über die Resonanz leitet er am Freitagabend den Anti-AfD-Protest unter dem Titel "Brennen für Demokratie und Vielfalt" auf dem Wolfratshauser Marienplatz. Mit reflektierenden Warnwesten, Lampen, Kerzen und sogar leuchtenumkränzten Hüten sind mehrere hundert Menschen gekommen - die Polizei spricht von 350 Teilnehmenden, die Veranstalter haben 428 gezählt. Einig sind sie sich alle in dem teils lautstark bekräftigten Bekenntnis zur Demokratie und gegen faschistische Tendenzen. Am "offenen Mikro" sagt am Ende der Veranstaltung ein junger Mann: "Ich stehe hier für Menschlichkeit. Und ich werde bis zu den Wahlen weiter demonstrieren."

Der Auslöser für die Initiative des 40-jährigen Martin Lorenz, Lehrer für Mathe und Religion an einer Realschule, war wie bei allen Anti-AfD-Demonstranten das rechtsextreme Geheimtreffen, in dem die Deportation von Millionen Menschen aus Deutschland erörtert wurde. Lorenz erklärt, er lebe seit 37 Jahren in Deutschland, stamme aber aus Polen, gehöre also zum großen Kreis jener, die vertrieben werden sollten. Kräftig und heftig ruft er ins Mikro: "Das könnt ihr vergessen, mich zu deportieren!"

Eva Greif, frühere Deutsch- und Geschichtslehrerin am Geretsrieder Gymnasium, macht mit einem Schlaglicht auf die Wolfratshauser Geschichte deutlich, wie achtsam man sein muss, damit es nicht zu spät ist, damit die Entwicklung nicht eskaliert. Sie spricht im Namen des Erinnerungsorts Badehaus in Waldram, dem früheren Föhrenwald, in dem in der Nazizeit Rüstungsarbeiterinnen und -arbeiter lebten und nach der Befreiung Tausende jüdische Überlebende der Shoah. "Erinnerung ist Arbeit an der Zukunft", sagt sie.

"Wir müssen uns erinnern, damit wir gewappnet sind vor braunen Sprüchen und Aktionen." Greif berichtet von der 1931 gegründeten Wolfratshauser Ortsgruppe der NSDAP; von der Entmachtung des Bürgermeisters Hans Winibald und der Einsatzung des ohne Mehrheit gewählten Nazis Edmund Schrott; von Verhaftungen der Parteigegner und der Abschaffung der lokalen Pressefreiheit, vom Bau der beiden gigantischen Munitionsfabriken im Wolfratshauser Forst; von Zwangssterilisationen im Bezirkskrankenhaus und schließlich von der Vertreibung der Jüdinnen und Juden aus Wolfratshausen. Und immer fügt sie ein: "Es war zu spät." Damit dergleichen nicht mehr geschehe, appelliert sie an die Teilnehmenden der Demo: "Wir haben die Verantwortung dafür."

Ein Rundgang um die Altstadt wird von den vielen mitgeführten Lichtern beschienen und von mutmachenden Gesängen begleitet: "Wehrt euch, leistet Widerstand, gegen den Faschismus hier im Land, haltet fest zusammen!" Schließlich versammeln sich alle wieder auf dem Marienplatz, und das Mikro wird freigegeben. Da tritt ausgerechnet Josef Hingerl vor, der Organisator der Corona verharmlosenden oder leugnenden sogenannten "Spaziergänge" in Wolfratshausen. Aus der Menge kommen Pfiffe und Buh-Rufe, die allerdings von den Veranstaltern als undemokratisch unterbunden werden. Dennoch ruft noch einer zu: "Gengas zu den Rechtsradikalen!" Hingerl betont, er sei "unwahrscheinlich glücklich, dass Sie in Ihrer Vielfalt hier erschienen sind". Und mit einer jovialen Berührung versichert er Martin Lorenz, er würde als Rechtsanwalt alles tun, um seine Vertreibung aus diesem Land zu verhindern.

Dann übernehmen andere das "offene Mikro". Der frühere Wolfratshauser SPD-Vorsitzende Hans Gärtner betont, wie wichtig es sei, dass Demonstrationen wie diese kein Strohfeuer blieben: "Wir müssen jeden Tag füreinander einstehen." Die Grüne Lucia Schmidt erklärt ihre Motivation zu demonstrieren: Sie wolle nicht, dass Menschen nachts aus dem Bett geholt und deportiert werden. Mehrere Rednerinnen und Redner sprechen von der Verpflichtung, die aus der deutschen NS-Geschichte erwächst. Und am Ende singt Bernie von der Band Irxn eines der berühmtesten Lieder von Hannes Wader, das pazifistische "Es ist an der Zeit", zeitgemäß umgedichtet: "Sie sind wieder da."

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