Süddeutsche Zeitung

Von Leihomas bis zum Asylhelferkreis:Ein Zentrum des Ehrenamts

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Das Mehrgenerationenhaus in Bad Tölz hat sich zu einer Anlaufstelle für fast 260 Freiwillige entwickelt, die sich gesellschaftlich engagieren. Um das vielfältige Angebot zu sichern, stockt die Stadt ihren Zuschuss trotz Corona auf.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Hermann Forster war skeptisch. Als das Mehrgenerationenhaus vor zwölf Jahren in Bad Tölz gegründet wurde, mochte der Stadtkämmerer nicht so recht ans Gelingen glauben. "Damals dachte ich, oh Gott, das wird wieder irgendwas, das aufs Gleis gesetzt wird und dann verschwindet", sagt er. Damit hat er sich gründlich geirrt. Das Mehrgenerationenhaus des Bayerischen Roten Kreuzes ist nicht bloß eine Einrichtung, in der sich - wie ihr Name nahelegt - ein paar Senioren mit jüngeren Leuten treffen und etwas gemeinsam unternehmen. Seit 2008 hat sich das Haus zu einem regelrechten Ehrenamtszentrum entwickelt, das im Landkreis einmalig ist. Das weiß längst auch Forster: "Es ist aus Bad Tölz nicht mehr wegzudenken." Den Stadträten fiel es leicht, den jährlichen Zuschuss der Kommune trotz Corona-Krise bis 2023 auf anzuheben, um das Angebot zu sichern.

Als der Franziskaner-Orden 2008 aus Bad Tölz fortzog, strebte die Stadt eine soziale Nutzung des ehemaligen Klosters neben der Kirche an. Die bot sich mit dem Mehrgenerationenhaus des BRK an. Die Anfänge waren bescheiden. Gerade einmal 15 Mitarbeiter waren für die Begegnungsstätte tätig. Aber was sich in den Jahren danach aus der Idee entwickelte, hätten die Verantwortlichen vermutlich selbst nicht zu träumen gewagt. "Das Mehrgenerationenhaus ist die Anlaufstelle für alle, die sich ehrenamtlich engagieren wollen in der Stadt - das ist vielleicht das Wichtigste", sagt Forster. Als ein "Netzwerkknoten" leiste es einen gewichtigen Beitrag zum Ziel einer "familienfreundlichen Stadt", das sich Bad Tölz in seiner "Vision 2030" gesetzt habe.

Unter Leiterin Rita Knollmann und ihrem fünfköpfigen Team haben die mittlerweile 257 ehrenamtlich Engagierten eine große Bandbreite an Themen und Angeboten geschaffen. Die Palette reicht von den "Familienpaten" über die "Leihomas" bis zum Singclub, vom Kulturprojekt "Hoamatschussa" (Heimatperlen) über das Handarbeitscafé bis hin zu etlichen Kinderspielgruppen. Neu ist beispielsweise der "Repatreff" im Weltraum am Vichy-Platz, wo Tüftler immer am letzten Freitag im Monat (16 bis 19 Uhr) zusammenkommen, Gegenstände herrichten und so ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft setzen wollen. Während der Ausgangsbeschränkungen durch die Corona-Pandemie fanden Online-Nachhilfestunden für Kinder und Online-Computerkurse für Senioren statt.

Eine bedeutende Rolle spielte das Mehrgenerationenhaus, als 2015 viele Flüchtlinge auch nach Bad Tölz kamen. Die Kurstadt nahm damals mehr Asylsuchende auf als jede andere Kommune im Landkreis. Umgehend bildete sich ein großer Helferkreis, der nach Ansicht nahezu aller Tölzer Lokalpolitiker maßgeblich dazu beitrug, dass die Aufnahme der Flüchtlinge still und störungsfrei verlief. Damals schuf der BRK-Kreisverband auch eine Stelle für die Begleitung der ehrenamtlichen Asylhelfer, die von der Stadt mitfinanziert wird. Ulrike Globisch, stellvertretende Leiterin des Mehrgenerationenhauses, kümmert sich um den Helferkreis. Die Zusatzstelle ist noch bis 2021 mit 59 400 Euro finanziert.

Insgesamt werden im Tölzer Mehrgenerationenhaus jedes Jahr rund 36 770 Stunden ehrenamtlicher Arbeit geleistet. Die vielen Angebote, worunter auch Krabbelgruppen, Mittagstische, Musizierkreis oder Hausaufgabenbetreuungen fallen, werden 11 081-mal pro Jahr genutzt. Bemerkenswert ist dabei, dass sich die freiwilligen Kräfte in Bad Tölz nicht bloß für kurze Zeit engagieren, wie dies bundesweit im Trend liegt. "95 Prozent der Ehrenamtlichen sind langfristig tätig", weiß der kommunale Sozialplaner Franz Späth.

Ein Problem war jedoch von Anfang an die Finanzierung des Treffpunkts im ehemaligen Kloster. Defizite musste das BRK übernehmen, 2019 waren es fast 15 000 Euro. Die Fördermittel des Bundes wurden lediglich für drei Jahre gewährt, mussten also immer wieder beantragt werden und boten so wenig Sicherheit. Zudem wurden die Zuschüsse seit 2008 nicht mehr erhöht. Ganz im Gegenteil: Der Bund zahlte von 2012 an nur mehr 30 000 Euro statt wie zuvor 40 000 Euro. Der Freistaat sprang seit damals mit 5000 Euro pro Jahr ein. Das neue Programm soll nun wenigstens über eine Zeitspanne von sechs bis acht Jahren laufen. Zudem erhöht der Bund den Zuschuss heuer wieder um 10 000 auf 40 000 Euro. Das soll auch 2021 geschehen, was wegen der finanziellen Folgen der Corona-Krise jedoch noch unsicher ist.

Dagegen steht fest, dass die Stadt ihre Fördermittel von 47 000 auf 53 000 Euro im Jahr erhöht. Dies beschlossen die Stadträte in ihrer jüngsten Sitzung einstimmig. Davon fließen 26 800 Euro in die Betreuung der Familienpaten, 16 200 Euro in die qualifizierte Betreuung von Ehrenamtlichen sowie 10 000 Euro in den Erhalt des Mehrgenerationenhauses. Zusammen mit den bisherigen Zuschüssen von Bund und Land ergibt sich mithin eine Gesamtsumme von 88 000 Euro pro Jahr.

Das sei "gut investiertes Geld, das wir beibehalten sollten", sagte Filiz Cetin (SPD) in der Stadtratssitzung. Ähnlich äußerte sich Ulrike Bomhard (FWG), Seniorenbeauftragte des Stadtrats. Die älteren Menschen würden im Mehrgenerationenhaus "hervorragend betreut und geleitet", berichtete sie. Für Bürgermeister Ingo Mehner (CSU) ist die Einrichtung alleine schon durch die personelle Besetzung "ein starker Teil von Bad Tölz". Dem pflichtete der einst so skeptische Stadtkämmerer Forster bei: "Das Ganze lebt natürlich auch von Frau Knollmann, das möchte ich schon mal sagen."

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SZ vom 13.07.2020
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