Süddeutsche Zeitung

Tiny Houses:Klein und mein

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Thorsten Thane will in Geretsried ein Wohnprojekt entwickeln, dessen Idee aus Amerika stammt. Mit Gleichgesinnten plant er ein "Dorf", das aus kleinen Häuschen besteht. Am Sonntag soll dafür der Verein "Einfach leben" gegründet werden

Von Benjamin Engel

Neun Jahre lang hat Thorsten Thane aus dem Koffer gelebt. Als Tauchlehrer arbeitete er in Robinson-Clubs auf der ganzen Welt. Immer zog er dem Saisongeschäft hinterher. Als Community-Life beschreibt der Geretsrieder Filmemacher seinen damaligen Berufsalltag. Für jeden Mitarbeiter habe es nur ein Zimmer gegeben. "Das Leben spielte sich draußen ab", sagt Thane. Was er besaß, passte in zwei Alukisten, eine für die Tauchausrüstung, die zweite für Kleidung und CDs. Sich auf das Wesentliche zu beschränken, fiel dem heute 46-Jährigen leicht. "Ich kann das."

Womöglich ist der alleinerziehende Vater mit dem ergrauten Ziegenbart daher für neue Wohnformen besonders aufgeschlossen. Schon jahrelang hatte er die Idee, mit anderen in einer kleinen Gemeinschaft zusammenleben. Thane schaute sich Künstlerdörfer und Hofgemeinschaften in der Region an, fand aber nichts für ihn passendes. So stieß er auf den Trend der Tiny Houses (englisch für winzige Häuser). Auf seinen Post in einer deutschlandweiten Facebookgruppe meldeten sich Gleichgesinnte aus der Region. Mit ihnen will Thane ein Pilotprojekt auf Geretsrieder Flur verwirklichen. Zu diesem Zweck gründen er und zwölf Mitstreiter am Sonntag, 21. Oktober, einen Verein im Wolfratshauser Gasthaus Flößerei (Beginn: 11 Uhr).

Ein sogenanntes Tiny House ist nach einer Definition 15 bis 30 Quadratmeter groß. Die Gruppe um Thane und Natascha Haase hat bereits ein geeignetes Grundstück gefunden. Strom- und Wasseranschlüsse gebe es dort, berichtet Thane. Alles hänge davon ab, ob die Stadt Geretsried das Projekt ermögliche. Darüber gebe es derzeit Gespräche.

Sollte es klappen, würde der Verein das Areal pachten. Jeder Nutzer müsste für seine Parzelle von 150 Quadratmetern bezahlen - monatlich höchstens 250 Euro laut Thane. Zunächst sind sieben Wohneinheiten in dem Tiny-House-Dorf geplant. Die mobilen Häuschen sollen sich um einen zentralen Treffpunkt für die Gemeinschaft gruppieren. Wie Thane sagt, könnte das ein Dorfplatz samt Pergola sein. Fundamente im Boden brauche es nicht. Da die Häuser mobil seien, könnten sie leicht abtransportiert werden, schildert Thane.

Die in den USA entstandene Tiny-House-Bewegung hält der Filmemacher für eine Möglichkeit zu bezahlbarem Wohnraum zu kommen. Denn gerade in der boomenden Wirtschaftsregion rund um München explodieren Mieten und Grundstückspreise. Für einen Normalverdiener sei das kaum noch zu finanzieren, sagt Thane. Ein mobiles Häuschen dagegen koste je nach Ausstattung 30 000 bis 100 000 Euro. Tiny Houses könnten auf Arealen ohne Baurecht entstehen. So könne eine Kommune etwa Außenflächen zu Sondernutzungsgebieten umwidmen und so Wohnrecht schaffen.

Die Probleme hoher Immobilienpreise können Tiny Houses nach Ansicht von Thane nicht lösen. "Die eine Lösung gegen Altersarmut und Wohnraummangel gibt es nicht", sagt er. Sozialwohnungen werde es brauchen. Nur das komme für ihn einfach nicht infrage. Er selbst wolle sein Leben auf die wichtigen Dinge reduzieren. Und das könne er im Tiny-House-Dorf ermöglichen. Keinem wolle er aber vorschreiben, wie er zu leben habe, sagt Thane. "Wir müssen nur die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, wie wir wohnen und was wir uns leisten wollen." Die Wohnform der Tiny Houses könne nur ein Puzzlestück in einem Gesamtkonzept sein.

So zu leben, ist aus Sicht von Thane eher etwas für Individualisten, zu denen er wohl selbst zählt. Mit nur 21 Jahren zog der gebürtige Bielefelder in die Dominikanische Republik. Dort wollte er einem Bekannten beim Aufbau einer Autovermietung helfen. Doch das habe sich ziemlich schnell als "Käse" herausgestellt, schildert er selbst. Thane arbeitete daher als Tourguide und Reiseleiter in dem Karibikstaat. Er ließ sich zum Tauchlehrer ausbilden und landete schließlich beim Reiseanbieter Robinson Club. Neun Jahre lang wechselte er je nach Saison zwischen den verschiedenen Tauchbasen um die ganze Welt.

So lernte Thane den Chefredakteur von Spiegel TV bei Tauchausflügen kennen. Über diesen kam er zu einem Praktikum in der Fernsehproduktionsfirma in Hamburg. Dort schloss er ein Volontariat zum TV-Redakteur ab. Thane begann Reportagen zu drehen und machte sich schließlich selbständig. In Hamburg hatte er die spätere Mutter seiner heute elfjährigen Tochter kennengelernt. Als die Bayerin wieder in den Freistaat zog, kam er mit.

Seit 2006 lebt Thane nun in Geretsried. Vor sechs Jahren ging die Beziehung auseinander. Mit der Tochter zog er aus. In der ersten Wohnung überließ er ihr das Schlafzimmer, schlief selbst im Wohnzimmer, ehe sie etwas größeres fanden. Mit dem Tiny House könne er seine Mietkosten reduzieren, sagt Thane. Und außerdem könne er endlich den Traum verwirklichen, einen Maulbeerstrauch vor dem Fenster zu haben.

Für seine geplante Parzelle hat sich der Filmemacher schon einen alten, zehn Meter langen Zirkuswagen gekauft. Um darin zu wohnen, müsse er diesen aber umbauen, könne nur das Dach und die Basis erhalten. Die dünnen Aluwände werde er wohl durch Holz ersetzen, erzählt Thane. Auf das neue Wohnen freut er sich. Er selbst mag keine zu starren Regeln. "Leben und leben lassen" sei seine Devise. Diese Einstellung teilten auch die übrigen Gruppenmitglieder, sagt er. Der jüngste Bewohner im Tiny-House-Dorf sei sechs Jahre alt, der älteste Mitte 60. Das entspreche ihrer Vorstellung von einem Mehrgenerationenprojekt, in dem Jung und Alt voneinander lernen und profitieren könnten.

Doch Thane denkt auch schon weiter. Sollte das Projekt gut funktionieren, könnte sich daraus auch eine Wohngenossenschaft entwickeln, um weitere derartige Projekte voranzutreiben. "Wenn wir das einmal geschafft haben, warum dann nicht öfter", sagt Thane.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2018
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