Süddeutsche Zeitung

Telemann zum Advent:Großes vom kleinen Chor

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Die elfköpfige "Capella Vocale Iffeldorf" singt in Sankt Vitus

Von Reinhard Szyszka, Iffeldorf

Er war der Komponisten-Superstar seiner Zeit: Georg Philipp Telemann. Kein anderer hat so mühelos, so leicht komponiert, die Werke in geradezu unheimlicher Produktivität aus dem Ärmel geschüttelt. Bei der Nachwelt war er deshalb als Vielschreiber verschrien, als einer, bei dem Masse vor Klasse gehe. Ob dem wirklich so ist: Die Capella Vocale Iffeldorf wollte es jetzt wissen. Der Kammerchor hatte für sein Adventskonzert ein reines Telemann-Programm zusammengestellt. Am Samstagabend war Aufführung in der kleinen Pfarrkirche Sankt Vitus, die ganz gut besucht, wenngleich doch nicht restlos voll war.

Pünktlich beim Glockenläuten betraten die elf Sänger den Altarraum und nahmen Aufstellung. Chorleiterin Anne Voit-Isenberg richtete zunächst ein paar Grußworte an die Zuhörer. Bemerkenswert dabei der Satz: "Den Segen kann nicht ich Ihnen spenden, das wird die Musik von Georg Philipp Telemann tun." Dann drehte sie sich zu ihren Musikern und gab den ersten Einsatz.

Das Programm des Abends umfasste Chorsätze aus Telemann-Kantaten, aber kein vollständiges Werk. Sicher war das der Situation geschuldet. Eine komplette Kantate von Telemann umfasst eben auch Rezitative und Arien - dafür aber hätte man für teures Geld Solosänger engagieren müssen. Selbst wenn man Eintrittsgebühren erhoben hätte, wäre unter dem Strich ein Verlustgeschäft herausgekommen. Um das zu vermeiden, beschränkte man sich in Iffeldorf auf die Chorsätze. Einerseits schade, weil auch eine Telemann-Kantate ihren wohlüberlegten Spannungsbogen aufweist, andererseits natürlich verständlich.

Der kleine Chor erzeugte einen erstaunlich sonoren Klang, sang klar, sauber und durchhörbar. Unterstützt wurde er von einem ebenso kleinen Instrumentalensemble: den Geigern Dorothea und Nils Hellerhoff sowie dem Trompeter Georg Goldhofer. Rolf Lissel spielte an einer kleinen Portativorgel den Continuo-Part; außerdem konnte Anne Voit-Isenberg selbst mit einem Synthesizer ihre Sänger diskret und für das Publikum kaum hörbar stützen. Denn die Instrumentalisten kamen nur bei einem kleinen Teil des Programms zum Zug. Der weitaus größte Teil war a cappella.

Und da ist es bewundernswert, mit welchem Elan sich der winzige Chor ins Zeug legte. Bei den Stellen, wo eine einzelne Stimmgruppe das Sagen hatte, waren es ja nur zwei oder drei Sängerinnen oder Sänger, die mit Mut und Einsatzfreude sangen.

Voit-Isenberg dirigierte mit deutlichen, klaren Gesten, die nicht so sehr die Einzelheiten heraushoben, sondern auf das Werkganze gingen. Bei der Textdeutlichkeit hätte man noch mehr machen können; Hauptsache jedoch war das einheitliche Klangbild. Und das hatte die Capella Vocale Iffeldorf zu bieten.

Besonders eindrucksvoll gelangen Sätze wie "Jauchzet ihr Himmel". Die meisten Telemann-Kantaten enthalten auch Choräle, und hier bedienten sich die Iffeldorfer reichlich. Sie beschränkten sich nicht auf die im Original vorgesehenen Strophen, sondern nahmen gerne noch ein paar hinzu. Das wirkte manchmal ermüdend; andererseits war es eindrucksvoll, wenn bei der letzten Strophe die Instrumente hinzutraten und bestätigten, dass der Chor die Intonation präzise gehalten hatte.

Kurz vor Ende des Konzerts gab es eine Panne. Bei der Chorfuge "Es fürchte ihn aber alle Welt" verpatzten manche Sänger ihre Einsätze, und schließlich war der Chor völlig aus dem Ruder. Voit-Isenberg ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, gab ein paar Töne am Synthesizer an, und schon setzte der Chor wieder ein, um die unterbrochene Nummer mit Anstand zu Ende zu bringen.

Und ebendiese Panne verschaffte den Zuhörern eine Zugabe. Beim Schlussapplaus sprach Voit-Isenberg mit ihren Musikern und gab die Nummer an. Offensichtlich keine vorherige Absprache; die Sängerinnen und Sänger blätterten in ihren Notenmappen hin und her. Dann wandte sich die Dirigentin mit den Worten "Wir sind Ihnen noch eine vollständige Fuge schuldig" ans Publikum. Die vollständige Fuge: das war das zuvor verunglückte "Es fürchte ihn aber alle Welt", im zweiten Anlauf tadellos gesungen und musiziert.

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Quelle:
SZ vom 04.12.2017
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