Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Damit den "Lichtblicken" nicht die Luft ausgeht

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Die beliebte Betreuungsgruppe für Menschen mit kognitiven Einschränkungen kann sich coronabedingt nicht treffen. Geräte mit Aerosolfiltern könnten helfen

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Es hätte ihr Jahr werden sollen, schließlich ist die Betreuungsgruppe "Lichtblicke" 2020 zehn Jahre alt geworden. Doch wie so vieles leidet auch diese ehrenamtliche soziale Einrichtung unter der Pandemie: Weder konnte das Jubiläum gefeiert werden noch waren und sind während des Lockdowns Treffen möglich, allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz. Dabei ist es gerade für kognitiv eingeschränkte Menschen, die in der Gruppe betreut werden, wichtig, regelmäßig in Kontakt und im Austausch mit anderen zu sein - damit die kognitiven Fähigkeiten trainiert bleiben. Doch solange die Gruppe keine Luftreinigungsgeräte hat, ist an eine Fortsetzung des Angebots nicht zu denken. Das reißt große Lücken - bei den Betroffenen genauso wie bei den Angehörigen, die ohne den Treff keine Entlastung mehr erfahren können.

Auch wenn die Betreuungsgruppe mit dem bezeichnenden Namen "Lichtblicke" heute nicht mehr wegzudenken ist: Ihre Gründung war eher zufällig. "Ich bin eigentlich ausgebildete Krankenschwester und habe in der Psychiatrie gelernt", erzählt Sylvia Kardell, Vorsitzende und Gründerin der Gruppe. Als sie mit 35 einen Neustart wagte, weil sie dachte, es müsse doch noch mehr geben im Leben, nahm sie an einer ehrenamtlichen Helferschulung teil. Und als in der Gruppe überlegt wurde, wo sich jeder einbringen könnte, wurde die Idee einer Betreuungseinrichtung für kognitiv eingeschränkte Menschen geboren. Vergleichbares gab es damals im Landkreis nicht, weshalb Kardell erst einmal Genehmigungen einholen musste. Dafür aber stieß sie mit der Idee sofort auf große, positive Resonanz. Das weckte die Energien, alle Voraussetzungen - Räume, die Möglichkeit mit der Krankenkasse abzurechnen, Vereinsgründung - abzuklären und in medias res zu gehen.

"Für jeden offen"

Wer mit einer geistigen Einschränkung lebt oder an Parkinson oder an Demenz erkrankt ist, der hat seither die Möglichkeit, in einem geschützten Raum Geselligkeit und Förderung auf spielerische Art zu erleben. Doch die Gruppe ist nicht auf Menschen mit diesen Herausforderungen beschränkt. Auch jemand mit einem physischen Handicap ist willkommen, genauso wie Menschen, denen einfach das Miteinander guttut, weil es gegen die Einsamkeit hilft. "Wir sind eine für jeden offene Gruppe", betont Kardell, "und es gibt auch keine Altersbeschränkung."

Das umfasst auch Angehörige, die genauso eingeladen und willkommen sind. "Gerade bei den ersten Besuchen legen wir Wert darauf, dass sie dabei sind." Hintergrund ist, dass so Transparenz ins Geschehen komme und keiner befürchten muss, hier werde jemand "abgegeben". Viele der Angehörigen sind laut Kardell so begeistert, dass sie nicht nur selbst gerne vorbeischauen, sondern auch mal einen Kuchen backen für die Gruppe. Und weil auch bei den Angehörigen schnell klar wurde, wie gut ihnen das Miteinander tat, gründete Kardell 2011 parallel eine Gruppe für sie, die sich einmal im Monat trifft. Das sei, betont die Gründerin,eine gute Gelegenheit für viele, Informationen zu erhalten und sich über Herausforderungen im Alltag oder mit Behörden auszutauschen. "Da sitzen dann die Profis an einem Tisch", sagt sie über Angehörige.

Im Kern steht das Erleben einer Gemeinschaft, man trinkt miteinander Kaffee oder Tee, singt, macht Bewegungsspiele, bastelt oder löst Rätsel. "Wer kommt, hat einen Riesenspaß, das sehen wir jedes Mal aufs Neue", sagt Kardell. Speziell geschulte ehrenamtliche Mitarbeiter unterstützen dabei und fördern so die Fähigkeiten. "Wir schauen, dass wir den Menschen so viel Zeit wie möglich schenken", sagt Kardell - was auch durch einen Betreuungsschlüssel von eins zu zwei funktioniert.

Aus der ersten Gruppe wurden schnell vier, die sich in Wolfratshausen und Geretsried in Räumen der Kirche trafen. Doch mit dem ersten Lockdown im Frühling 2020 mussten alle geschlossen werden. "Wir haben versucht, alternativ über das Telefon Kontakt zu halten, aber das ist natürlich nicht das Gleiche." Sie und ihre ehrenamtlichen Helfer haben für die Familien zudem in dieser Ausnahmezeit Beschäftigungsmaterial gesammelt und in die Briefkästen der Gruppenmitglieder geworfen, hin und wieder sogar einen Kuchen gebacken, um die Erinnerung wachzuhalten. In den ersten zwei Monaten habe die Angst vor einer Ansteckung alles beherrscht, doch im Sommer kam die grundsätzliche Frage auf, wie es weitergehen könnte.

"Wir brauchen eine Perspektive", sagt Kardell. Denn den Besuchern, das höre sie oft, fehle der Treff, "sie leben ja von der Zuwendung". Im Herbst fand Kardell einen Raum mit mehreren Zugangsmöglichkeiten, zudem schaffte sie gute Masken an. Sie versuche nun alles, damit nach dem zweiten Lockdown die Gruppe wieder neu zusammenfinden kann, unter angemessenen Vorsichtsmaßnahmen natürlich, aber eben doch wieder persönlich. Doch um den Hygienevorschriften zu genügen, brauche es die Luftfilter für den Treff. Hier hofft Kardell nun auf Unterstützung. Denn "wir wollen alles versuchen, damit diese besondere Gruppe eine Zukunft haben kann?.

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Quelle:
SZ vom 07.01.2021
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