Süddeutsche Zeitung

Rezension:Konzertabend der Extraklasse

Lesezeit: 2 min

Der Pianist Wataru Hisasue begeisterte das Publikum in Icking mit seinem virtuosen Spiel

Von Ulrich Möller-Arnsberg, Icking

Manchmal ist es nicht von Nachteil, einen dritten Platz zu belegen. Vor Kurzem ist der ARD-Musikwettbewerb zu Ende gegangen. Wieder haben einige Teilnehmer statt eines erhofften ersten Preises eben nur einen dritten bekommen. Sie hadern eine Weile, aber die künstlerische Karriere geht weiter, manchmal sogar erfolgreicher als bei Erstplatzierten, wie die Cellistin Sol Gabetta eindrucksvoll bewiesen hat. Auch Wataru Hisasue, der 2017 im Fach "Klavier" des ARD-Musikwettbewerbs teilnahm, ist einer dieser Drittplatzierten, die ein besonderes Renommee genießen. Dreimal wurde sein geplantes Rezital bei "Klangwelt Klassik" in Icking verschoben. Nun konnte der Japaner ein umjubeltes Konzert im Rainer-Maria-Rilke-Gymnasium geben.

Mit dem 1955 geborenen französischen Komponisten Pascal Dusapin ging es los - ein ungewöhnlicher, aber umso spannender Anfang. Dusapin ist sowohl in der Welt der klassischen Techniken und Formen zu Hause wie in denen der Rockmusik. In der Étude pour piano Nr. 2 legte Hisasue über Dusapins vertrackte, pulsierende Rhythmik verlorene Melodien, wechselte zu kühnen Trillerketten und anderen erfindungsreichen kompositorischen Elementen. Dusapins Musik hinterlässt den Eindruck einer flüchtigen Musik im angenehm positiven Sinne. Er selbst nennt sie "Reisemusik", die er unterwegs geschrieben habe, "im Ausland, in Hotels, Eisenbahnen oder Flugzeugen, oder auch beim Unterbrechen größerer Werke." Das erklärtermaßen "Leichte" erwies sich als aufregendes Hörerlebnis, für das Wataru Hisasue mit Bravour und Sinn für moderne Spieltechniken sorgte.

Polnisch-französisch ging es nach diesem Auftakt weiter: mit der Barcarolle op. 60 und dem Scherzo op. 31 von Frédéric Chopin. Ein gefühlsbetonter Romantiker, dessen musikalisches Sentiment manch einen Interpreten dazu verleitet, allerlei gefühlsbetonte Tempi-Wechsel vorzunehmen. Nicht so Hisasue. Souverän ging er mit den Farb- und Stimmungswechseln um, ohne zu verschleppen. Ein wundersam erfrischender Chopin, galant, schlackenlos, ungemein auf den Punkt.

Abgesehen vom Musikalischen beeindruckte der in Kyoto geborene Wataru Hisasue, der in Freiburg studiert hat und in Berlin sein Masterstudium absolviert, durch eine ungeheure Technik. Schwerste Läufe und Kapriolen gelingen ihm mit geschmeidiger Leichtigkeit. Und bei alledem versteht es Hisasue stets, seine stupende Klaviertechnik dem kompositorischen Sinn unterzuordnen. In den Métopes op. 29 des Polen Karol Szymanowski und vor allem in der dritten Sonate von Johannes Brahms offenbarte sich Hisasue als beredter Pianist. Klug und hintersinnig wechselte er zwischen kraftvollen Forte-Akzenten und kontemplativen Piano-Momenten. Feinsinnig, spannungs- und temperamentvoll. Ein Konzertabend, der in seinem Verlauf gefühlt immer noch besser wurde. Hisasue spielte - auch das muss erwähnt sein - alles auswendig. Was das bedeutet, wurde spätestens in der kolossalen Sonate von Brahms deutlich. Dort vertiefte er sich in sein Spiel, lotete im langsamen Satz Farben und Dynamik nuancenreich aus, brillierte in den abschließenden Sätzen, bevor dieser sympathisch introvertierte Pianist nach vielen "Bravi" einige Worte zur derzeitigen Situation des Künstlerseins fand. Wie wichtig es für ihn und seine Musikerkollegen sei, endlich wieder vor Publikum zu spielen, betonte er. Noch einmal wurde Hisasue ausgiebig mit Ovationen gefeiert. Mit zwei Zugaben klang der großartige Abend aus.

Am 2. und 3. Oktober, 19.30 und 11 Uhr, ist das Trio Adorno bei "Klangwelt Klassik" zu Gast

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SZ vom 20.09.2021
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