Süddeutsche Zeitung

Poetry-Slam beim Flussfestival:"Fight!"

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Junge Autoren liefern sich einen Dichterwettstreit auf der Loisachbühne in Wolfratshausen. Am Ende gewinnt ein packender Text über einen Boxkampf zwischen Klimawandel und Energiewende.

Von Thekla Krausseneck, Wolfratshausen

Es erfordert viel Mut, sich vor 80 Zuschauer zu stellen und einen selbst geschriebenen Text vorzutragen. Noch mehr Mut - und ein gewisses Maß an Dreistigkeit -, wenn dieser Text einzig dazu verfasst worden ist, andere Autoren auf die Schippe zu nehmen. Ganz im Speziellen jene mit den Reimen, jene mit den "pathetischen Pausen", aber auch jene, die ihre Texte in Lichtgeschwindigkeit vortragen. Raphael Breuer hat es beim Poetry Slam auf dem Flussfestival in Wolfratshausen am Samstag gewagt - und damit die gesamte Veranstaltung kommentiert.

"Reimrausch" nennen sich die Poetry-Slam-Profis Mic Mehler und Christoph Hebenstreit, die unter anderem in Bad Tölz, Ebersberg und Rosenheim Dichterschlachten ausrichten. In denen messen sich Poeten in der Kunst des Schreibens und Vortragens: Der Text muss aus der eigenen Feder stammen, doch genauso wichtig ist für die Bewertung durch die Jury die Präsentation auf der Bühne. Wer seinen Text einfach nur vorliest, erreicht gar nichts. Leider kippen genügend Poetry-Slammer ins andere Extrem - und sprechen so schnell, dass sie kaum mehr zum Atmen kommen. Mancher Dichter beherrscht die Kunst, sein Publikum schwindelig zu sprechen und trotzdem verständlich zu bleiben. Am Samstag wurden dabei eher ganze Wörter verschluckt. Da wären ein paar pathetische Pausen, wenn auch nur zum Luftholen, vielleicht doch ganz sinnvoll gewesen.

Die Talente leuchteten dafür umso heller. Friedrich Hermann kam ohne Manuskript auf die Bühne: Ruhig und fließend im richtigen Rhythmus und ganz getragen von seinem Selbstvertrauen trug der Thüringer den Text "Das erste Mal" vor, das mit dem ersten Schrei nach Brei beginnt und mit der Erkenntnis endet, dass das Leben niemanden verschone und sich das Weitermachen trotzdem immer lohne. Noch nicht ganz so versiert präsentierte sich die Münchnerin Anja Perkuhn, die jedoch den emanzipierten, intelligenten und kunstvoll ausformulierten Text "Ach, Prinzessin" mitbrachte, der zu dem Besten zählte, was das Wolfratshauser Publikum zu hören bekam.

Da aus jeder Gruppe nur ein Finalist hervorgehen konnte, hing die Chance auf den Sprung ins Finale für jeden Teilnehmer von der Stärke seiner beiden Konkurrenten ab. Die zweite Gruppe präsentierte sich schwach, in den beiden anderen Gruppen gab es jeweils zwei hörenswerte Talente. Darunter Breuer, der als Vorletzter seine "Slam Poesie Parodie" vortrug, von sinnlosen Reimketten, tiefsinnigen Germanistikstudenten und dramatischen Auftritten erzählte. Nach Sätzen wie "Und dann stelle ich mich ans Mikro und atme tief ein, damit das Publikum weiß: Ah! Das muss was zum Nachdenken sein" beendete Breuer seinen Vortrag mit den Worten: "Der Text hat keine Botschaft", und ging von der Bühne. Mit 36,9 Punkten hätte Breuer alle Poeten der zweiten Gruppe überholt. Leider war er in der dritten Gruppe, in der ihn der Münchner Julius Althoetmar schlug - mit "Actionfilm", einem Text, der so hastig und überdreht begann wie die Stücke einige seiner Mitbewerber, dann aber mit der Botschaft endete, dass nichts im Leben perfekt sei, man es aber mit Handykameras und Filtern so aussehen lasse.

Im Finale brillierte Althoetmar mit einem packenden Text über den Boxkampf zwischen Klimawandel und Energiewende, den das Publikum mit einem laut gebrüllten "Fight!" anfeuern durfte. Den ersten Platz - den Mehler und Hebenstreit aus der Lautstärke des Applauses heraushörten - erhielt der junge Poet damit dann doch noch zurecht. Mit ihm im Finale stand neben dem vom Publikum eigentlich nicht minder laut gefeierten Hermann auch der Münchner Bumillo.

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Quelle:
SZ vom 18.07.2017
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