Süddeutsche Zeitung

Neue Blickwinkel:Drei Häuser, eine Ausstellung

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Bewohner von Betreuungseinrichtungen zeigen in Geretsried ihre Bilder

Von Arnold Zimprich, Geretsried

Stephan Ratz ist sichtlich stolz. "Dieser Frau habe ich viel zu verdanken", sagt der 63-Jährige. Die so angesprochene Daniela Müller-Jensen wirkt verlegen. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie als Kunsttherapeutin im Haus Gartenberg, einer beschützenden Therapieeinrichtung für 57 chronisch psychisch kranke Menschen im Norden von Geretsried - einer davon ist Stephan Ratz. "Ich habe alle meine Bilder mit Kugelschreiber gemalt", sagt der Künstler über seine großen, detailverliebten Werke, die an einer Seitenwand des Foyers im Pfarrzentrum Heilige Familie im Geretsrieder Ortsteil Gartenberg aufgehängt sind. Mit viel Liebe zum Detail hat er Naturszenen mit Bäumen, Flüssen und Aktdarstellungen ganz in Schwarzweiß gezeichnet. "Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich den Bildern noch Farbkleckse hinzufügen soll", sagt Ratz, der seit gut zwei Jahren im Haus Gartenberg lebt.

Die im geräumigen Foyer aufgehängten Bilder stammen allesamt von Bewohnern des Seniorenheims Schwaigwall, des Pflegeheims Sankt Ursula und der Sozialtherapeutischen Einrichtung Haus Gartenberg - drei Häuser mit sehr unterschiedlichen Bewohnern. Unter den Leitmotiven "Stimmungen, Erinnerungen, Gefühle" haben sie ihre Gedanken zu Papier gebracht. "Wir malen drei Mal die Woche", berichtet Kunsttherapeutin Daniela Müller-Jensen über ihre Arbeit. Dabei gebe es kein bestimmtes Motto. "Wir malen, was uns gerade in den Sinn kommt." Die Altersspanne der Künstler in ihrer Gruppe reiche "von 30 Jahren aufwärts".

Zum Auftakt der Ausstellung spricht der Hausherr der Pfarrei, Pfarrer Georg März, ein Grußwort. "Unser Foyer ist ein Ort der Begegnung - und Kunst lädt dazu ein, einander zu begegnen", sagt März. "Sie ist ein Mittel, Dinge auszudrücken, die man nicht ausdrücken kann" - und damit perfekt dazu geeignet, "Menschen eine Stimme zu geben, die in der Gesellschaft nicht mehr oder zu wenig gehört werden", sagt der Geistliche bei der Vernissage.

Initiiert wurde die Ausstellung von Dekanats-Seelsorgerin Eva Buchner und Diakon Michael Baindl. "Eigentlich hatte ich nicht mehr vor, eine so große Ausstellung zu organisieren", sagt Buchner, "aber zusammen mit Michael Baindl und den Kunsttherapeuten der drei Einrichtungen haben wir beschlossen, es nochmal zu machen." Mit großer Resonanz, wie man nun im Pfarrzentrum sehen kann: Die Vielfalt der rund 100 ausgestellten Bilder ist überwältigend.

"Warum machen wir das?", stellt sich Buchner selbst die Frage. "Weil es alles wunderbare Menschen sind, die noch viel zu sagen haben. Aber ihre Stimme ist nicht mehr laut. Still und heimlich werden sie nicht mehr gesehen, ihre Worte fließen nicht mehr", sagt Buchner. "Bilder sind jedoch die eindrucksvollere Sprache."

Die Geretsrieder Kulturamtsleiterin Anita Zwicknagel zeigt sich von der Vielfalt der Bilder beeindruckt. "Kunst fördert, verbindet und integriert", so Zwicknagel. "Durch die Kunst haben die Menschen in Pflegeeinrichtungen noch etwas zu geben, jeder wird Teil eines großen Netzwerks". So sei es möglich, an der Lebensgeschichte der Künstler teilzuhaben, erklärt Zwicknagel.

Nach den drei Einrichtungen sortiert, füllen die mit Bildern behängten Stellwände das geräumige Foyer auf voller Breite aus. "Jeder kann malen, jeder kann seine Gefühle ausdrücken", sagt Daniela Müller-Jensen, und das sieht man. Von bunten, impressionistisch wirkenden Gemälden, Portraitbildern und Landschaftsmalereien bis hin zu abstrakten Darstellungen haben die Künstler ihrer Fantasie freien Lauf gelassen. "Ich finde es fantastisch, was von den Bewohnern geleistet wurde", sagt die Kunsttherapeutin - "auch wenn sie gesundheitlich angeschlagen sind. Für mich haben die Gemälde hauptsächlich eine Aussage: Wir sind Teil der Gesellschaft!"

Bis Dienstag, 26. März, ist die Ausstellung im Pfarrzentrum Heilige Familie, Johannisplatz 21, zu sehen, danach zieht sie ins Geretsrieder Rathaus um

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SZ vom 25.03.2019
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