Süddeutsche Zeitung

Traditionelle Wirtshäuser:Vom Hofbeamten bis zum Wirte-Kollektiv

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Am Gasthaus beim Ambacher Dampfersteg residierte einst der Fischmeister.Die Familie Bierbichler zog seit dem 19. Jahrhundert Sommerfrischler wie Intellektuelle an, vor 35 Jahren übernahmen Gesellschafter das Ruder.

Von Benjamin Engel, Münsing

So untrenn- wie unvereinbar scheinen zwei Zuschreibungen mit dem Ambacher Gasthaus Zum Fischmeister verwoben: Den einen Pol markiert die sogenannte Münchner Schickeria, die mit dem Sportwagen oder dem SUV vorfahren soll. Die bayerisch-anarchische Seite verkörpert das Betreiberkollektiv, das im Mai 1985 das Gasthaus übernommen hat. Auf keine Seite will sich Cordula Smolka festlegen lassen. "Was die Münchner Schickeria angeht, bin ich hoch allergisch", sagt die 59-jährige Gesellschafterin der Gasthaus-GmbH. "Es hat so etwas Arrogantes von Stammgästen und Einheimischen, auf die Münchner Schickeria zu schimpfen." In der Gästestruktur könne sie sowieso kaum Unterschiede feststellen. Genauso sei die Zeit des Kollektivs lang vorbei.

Als überzeugt linksautonom charakterisiert Smolka die Gesellschafterstruktur Mitte der 1980er-Jahre. Eine Gruppe um Konrad Förster und Karl Edelmann aus dem bis heute kollektiv betriebenen italienischen Lokal "Ruffini" in München war damals aufs Land gekommen. In Ambach wirtschafteten sie wie in der Stadt gemeinsam ohne übergeordneten Chef.

Das bedeutete, dass jedem, der beim Fischmeister arbeitete, auch das Lokal gehörte. Entschieden wurde nur einstimmig - in wöchentlichen Besprechungen und der großen Sitzung einmal im Monat. Diskutiert wurde oft lang. "Das war furchtbar", erinnert sich Smolka. Immer hätten sie es aber doch irgendwie geschafft, sich zu einigen. "Das geht besser, als man denkt." Nur beim Thema Farbwahl seien alle eigentlich immer uneins geblieben.

Zum Gesellschafter-Team in Ambach ist Smolka 1988 gestoßen. In München hatte die gebürtige Niederbayerin Germanistik und Politikwissenschaften zu studieren begonnen. Das sei ein Blödsinn für sie gewesen, wie sie schnell gemerkt habe, sagt Smolka heute. Um ihr Leben zu finanzieren, wollte sie als Bedienung arbeiten. Sogar im Ruffini fragte sie an. Doch um dort als Gesellschafterin mitarbeiten zu können, sollte sie 5000 Mark zahlen. Das sei für sie nicht infrage gekommen. Also bediente sie im schicken Café Freiheit in München-Neuhausen. "Dann kam jemand aus dem Ruffini vorbei und hat mir gesagt, Du passt hier doch gar nicht rein", schildert Smolka. Stattdessen sollte sie doch einmal im Fischmeister vorbeischauen. Dort hätte sie alles überzeugt - von den Kollegen, der Stimmung bis zur Landschaft.

Besonders bei Sonnenuntergang kann ein Gast im Biergarten direkt gegenüber dem Ambacher Dampfersteg am Ostufer des Starnberger Sees wohl kaum einen schöneren Platz finden. Als Schauplatz hat das Gasthaus schon oft wirkmächtige Bilder produziert. In seinem Film "Servus Bayern" sitzt Herbert Achternbusch Ende der 1970er-Jahre an einem kleinen Tischchen vor der Schreibmaschine im Biergarten. Gekleidet ist er in weißer Hose, Sakko und Hemd sowie Priester-Hut in derselben Farbe, an den Füßen trägt er Sandalen. "In Bayern mag ich nicht einmal gestorben sein", sagt er und nimmt einen Schluck aus dem Weißbierglas. Der damalige Skandalregisseur wohnte mehrere Jahre im zweiten Stock des Gasthauses. Seine zeitweiligen Lebensgefährtin und Protagonistin einiger seiner Filme war Annamirl Bierbichler. Die 2005 gestorbene Schauspielerin war die Schwester der heutigen Eigentümer Sepp Bierbichler - ebenfalls als Schauspieler sehr bekannt - und Michael Bierbichler, Musiker von Beruf. Allein auf das anarchische Künstlermilieu lässt sich die Historie des Fischmeister aber kaum verengen. Verbindungen zur besseren Münchner Gesellschaft reichen bis in das 14. Jahrhundert zurück. Seit dieser Zeit war am Platz der gleichnamige Fischmeister, von dem das Haus seinen Namen hat, ansässig. Es handelte sich um einen Beamten des bayerischen Königshauses. Er beaufsichtigte alle Fischer am oberen Würmsee, wie der Starnberger See bis 1962 offiziell hieß. Der Beamte kaufte den Fischern ihre schönsten Exemplare möglichst gewinnbringend ab, um den Hof zu beliefern und den Rest selbst am Markt anzubieten. Diese Position hatte vier Jahrhunderte dieselbe Familie inne. Einer ihrer Fischmeister übergab das Haus schließlich Ende des 18. Jahrhunderts seinem Knecht Johann Castulus Bierbichler.

Das heutige stattliche Haus mit Hochparterre und zwei Obergeschossen entstand im 19. Jahrhundert. Unter der Familie Bierbichler entwickelte es sich zur beliebten Einkehr. Zur Sommerfrische konnten dort auch Gäste übernachten. Der Betrieb etablierte sich mehr und mehr als Ausflugsziel der Münchner. Die Stadtbewohner fuhren mit der Ende des 19. Jahrhunderts eingerichteten Isartalbahn nach Eurasburg. Aus dem Loisachtal wanderten sie durch die Moränenlandschaft bis zum Ostufer des Starnberger Sees in Ambach. Von dort ging es mit dem Schiff nach Starnberg und wieder mit der Bahn nach München zurück. "Der Weg ging direkt am Haus vorbei", schildert Smolka.

Zum Fischmeister gehörte früher auch ein Ballsaal im ersten Stock des Gebäudes. Überaus geschäftstüchtig muss die Familie Bierbichler gewesen sein. Um genügend Fisch für ihre Gäste zu haben, erwarb sie zur Zucht Weiher bei Degerndorf und sogar nahe des Herzogstands, wie Thomas Hausmann berichtet. Der 55-jährige Seeshaupter jobbte schon zu Kollektiv-Zeiten im Fischmeister, wurde 2014 einer der vier aktuellen Gesellschafter. Sein Freund aus Schulzeiten, Florian Orecher, hatte gefragt, ob er einsteigen wolle.

Mit der Historie des Gasthauses ist zu erklären, dass es die Städter wie die Prominenz und Intellektuelle anzog. Die Schriftsteller Tilman Spengler und Johano Strasser sind dort genauso eingekehrt wie die frühere Schauspielerin und heutige Ärztin Marianne Koch oder der Humorist Vicco von Bülow alias Loriot. Das Ambiente ist weitgehend unverändert geblieben bis hin zu den blanken Ahorntischen in der Gaststube und der Kredenz - Anrichte - im heutigen Nebenzimmer, das früher der Hauptraum war.

So beliebt das Gasthaus aber auch ist, es bleibt ein Saisongeschäft vor allem für den Sommer. Gerne würden sie noch einen Koch einstellen, sagt Hausmann. Doch Personal zu finden, sei wegen der katastrophalen öffentlichen Verkehrsanbindung schwierig. Auf dem Dampfer dürften die Gäste zu wenig Fahrräder mitnehmen. Parkplätze gebe es vor dem Haus viel zu wenig. Einen schöneren Arbeitsort können sich aber weder Smolka noch Hausmann besonders abends kaum vorstellen.

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Quelle:
SZ vom 31.08.2020
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