Süddeutsche Zeitung

Ludwig Mies van der Rohe:Ein bedingungsloses Leben im Knusperhäuschen

Lesezeit: 2 min

Die Familie des Architekten und Bauhausdirektors Ludwig Mies van der Rohe wohnt in den 1920er Jahren in Icking. Tochter Georgia van der Rohe beschreibt das Leben in der Isartalgemeinde in ihrer Biografie, das Haus soll jedoch bald abgerissen werden

Von Kaija Voss, Icking

In der Isartalgemeinde Icking, genauer gesagt an der Straße "Am Buchet", steht noch heute das Haus, in dem einst Ada van der Rohe mit ihren drei Töchtern Georgia, Marianne und Waltraud gelebt hat. Sie war bis 1921 die Ehefrau von Ludwig Mies van der Rohe, dem dritten Bauhausdirektor. Das Gebäude, ein dunkles Holzhaus mit roten Fenstersprossen, steht derzeit leer und ist dem Abriss geweiht. Auch wenn es in den Augen mancher denkmalwürdig wäre, so ist es kein Denkmal in der Liste. Erbaut hat es der aus dem Baltikum stammende Künstler Moritz von Grünewaldt. Manchen mag er noch heute durch seine vom Jugendstil inspirierten Exlibris bekannt sein.

Das Holzhaus wird in den 1920er Jahren an die kleine Van-der-Rohe-Familie vermietet. Zu diesem Zeitpunkt ist die Kommune am Steilufer der Isar bereits ein beliebtes Ausflugsziel der Sommerfrischler. Privilegierte und Adelige hatten es schon Jahrzehnte zuvor als Naherholungsgebiet auserkoren, darunter auch zahlreiche bekannte Namen der Weltliteratur und der Kunstszene wie D.H. Lawrence, Frieda von Richthofen, Paul Heyse, die "Skandalgräfin" Fanny zu Reventlow, und natürlich Rainer Maria Rilke und Lou Albert-Lasard.

Das Leben in Icking beschreibt Georgia van der Rohe in ihren Memoiren "La Donna è Mobile - Mein bedingungsloses Leben": "1927. Der Winter in den bayerischen Alpen war vorbei. Das hieß für uns: weiterziehen. Das neue Domizil war gar nicht einmal sehr weit entfernt. In Icking im Isartal hatte meine Mutter eine kleine Knusperhäuschen-Villa mit einem hübschen Garten gemietet. Ich hatte ein eigenes kleines Reich: eine gemütliche Schlafkemenate und ein Wohn- und Arbeitszimmer.(...) Icking hatte ein kleines Privatgymnasium."

Georgia, geboren 1914, war 13 Jahre alt, als sie ins Isartal zog. Ihr Vater war Ludwig Mies van der Rohe. Er hieß ursprünglich Ludwig Mies, das "van der Rohe" legte er sich aus Karrieregründen zu. Denn, so meinte er, mit dem Namen "Mies" würden "mieses Wetter" und "miese Architektur" assoziiert. Im Jahr 1927 leitete er den Bau der Weißenhofsiedlung Stuttgart. Er lud seine geschiedene Frau und auch seine Tochter Georgia, die älteste der drei Kinder, nach Stuttgart ein, was sehr ungewöhnlich war: "Diese Einladung ist mir bis heute ein Rätsel. Nie wieder hat mein Vater in seinem langen Leben zu wichtigen Ereignissen oder Ehrungen in Deutschland, den USA oder Spanien die eine oder andere seiner Töchter mitgenommen. Die Öffentlichkeit wusste nichts von unserer Existenz. Normalerweise würde eine Dreizehnjährige von der Arbeit und dem Beruf ihres Vaters, seinem Umfeld und seinen Kollegen etwas wissen, vielleicht auch mit Interesse daran teilnehmen. Ich jedoch war völlig ahnungslos und unwissend mit einem wichtigen Ereignis der modernen Architektur konfrontiert."

Georgia van der Rohe erlebt als Teenager die namhaften Architekten der Moderne, Walter Gropius, Bruno Taut, Ludwig Hilberseimer, Le Corbusier und sie raucht ihre ersten Zigaretten in Stuttgart. Sie schreibt: "Aber ich fürchte, mehr noch als die moderne Architektur gefielen mir die vielen Empfänge und Diners, auf denen ich mich durch meine ersten Zigaretten kämpfte."

Von Icking aus nimmt Georgia van der Rohe Musikunterricht in Wolfratshausen und singt als Sopran im dortigen Kirchenchor. Das nahe München fasziniert sie, sie liebt das Schwimmen in der Isar und die Alpen. Doch für die letzten drei Jahre bis zum Abitur geht sie ins Internat "Schloss Salem" an den Bodensee.

Sie kehrt nicht mehr nach Icking zurück, Mutter und Schwestern waren bereits nach Frankfurt am Main gezogen. Ihr Vater baut in jener Zeit den Barcelona-Pavillon. Georgia van der Rohe macht in den 1930er Jahren Karriere als Tänzerin bei Mary Wigman, später arbeitet sie am Landestheater Württemberg-Hohenzollern in Tübingen und als Filmemacherin. 1992 geht sie zurück nach Berlin, wo sie 1914 geboren wurde und 2008 stirbt. Doch eine Episode ihres bewegten und, wie sie meinte, "bedingungslosen" Lebens spielte in Icking, im Isartal.

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SZ vom 30.08.2019
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