Süddeutsche Zeitung

Krebstherapie:Mit High-Tech Tumore zerstören

Lesezeit: 3 min

In Wolfratshausen eröffnet Anfang November eine Strahlentherapie zur Krebsbehandlung.

Von Quirin Hacker, Wolfratshausen

In Wolfratshausen gibt es die erste Strahlentherapie-Praxis im weiteren Umfeld. An dem neuen Standort der Radiologie München erhalten Krebskranke eine messerscharfe Therapie ohne Skalpell. Aufgebaut hat sie der Strahlentherapeut Hendrik Wolff gemeinsam mit seinen Kollegen Steffen Hennies und Gregor Habl. Wolff führt durch die Praxis am Hans-Urmiller-Ring 44. "Früher war das ein Restaurant, deshalb sind die Räume außergewöhnlich groß", erklärt er. Über der Tür zum Herzstück der Praxis steht auf Schildern in Ampelfarben: "Vorbereitung, Einschaltbereit, Strahlung ein". In der Mitte des Zimmers ist der Linearbeschleuniger Typ Versa-HD der Firma Elekta aufgebaut. "Das hier sind die digitalen Augen", sagt Wolff. Mit ihnen überprüft der Arzt, ob der Patient optimal auf dem Behandlungstisch liegt. Das ist wichtig, damit die Strahlung den Tumor millimetergenau trifft. Wolff deutet auf das kleine rechteckige Glas, das auf der Unterseite des drehbaren Arms der Maschine angebracht ist. "Hier treten während der Behandlung die Photonen aus." Bleilamellen steuern präzise, welches Volumen bestrahlt wird. Die Maschine ist laut Wolff eine der modernsten, die es derzeit gibt. Sie koste um die zwei Millionen Euro.

Die Patienten sehen während der Behandlung nur einen kleinen Teil der Anlage. Der Hauptteil befindet sich im Raum hinter dem Behandlungszimmer. Hier gibt es keine Kunststoffverkleidung, an der Außenseite ragen Kabel und Platinen hervor. Das Grundprinzip der Strahlentherapie sei das gleiche wie Anfang des vorigen Jahrhunderts, sagt Wolff. "Früher hat man eine Klappe aufgemacht, und eine permanente Quelle hat ihre Strahlung mit auf den Patienten abgegeben, dann hat man die Klappe nach einer berechneten Zeit wieder geschlossen, und das war es." Diese simple Art der Bestrahlung sei sehr ungenau gewesen. Sie traf nicht nur den Tumor, sondern schädigte auch das umliegende Gewebe, was mit starken Nebenwirkungen einherging. Ein großer Fortschritt der Strahlentherapie sei die Computertomographie (CT) als Planungsgrundlage gewesen, die eine genauere Bildgebung des Tumors erlaubt als zuvor verwendete Röntgenbilder. Im digitalen CT-Bild markiert der Arzt, welcher Bereich bestrahlt werden soll. Diesen Schritt vergleicht Wolff mit dem Skalpell eines Chirurgen. "Wenn ich das Zielvolumen falsch einzeichne und daneben strahle, treffe ich den Tumor nur zum Teil oder gar nicht, was schlechtere Heilungschancen und starke Nebenwirkungen bedeutet."

Während Bestrahlung früher im Vergleich zu anderen Behandlungsmethoden eine ineffiziente Therapie gewesen sei, liege der Anteil der Krebspatienten, die vollständig geheilt werden, inzwischen bei über 60 Prozent. Das ist jedoch nicht nur der Strahlentherapie zu verdanken. Viele Tumore werden mit allen drei gängigen Behandlungsmethoden gegen Krebs bekämpft: Chirurgie, Strahlentherapie und Chemotherapie, die wiederum in Immuntherapie, Antikörpertherapie, Hormontherapie und andere unterteilt werden kann. Die Reihenfolge und Kombination der Behandlungsmethoden kommt auf den Tumor und den individuellen Patient an. Eine optimale Behandlung erfordert deshalb enge Zusammenarbeit von Chirurgen, Onkologen und Strahlentherapeuten sowie anderen Fachdisziplinen wie Radiologen, Pathologen und Fachärzten des jeweiligen Körperbereichs.

Im oberen Stockwerk der Praxis befindet sich neben Computertomographie und der Kühlung für die Bestrahlungsmaschine der Planungsraum mit einem langen Tisch und verschiedenen Computern in der Mitte. "Hier zeichnen Ärzte den Bestrahlungsbereich in das CT-Bild ein und die Physiker berechnen Bewegung, Winkel und Strahlendosis der Maschine" Wolff erklärt die Funktionsweise der Strahlentherapie: Tumorzellen teilen sich im Gegensatz zu gesunden Zellen unkontrolliert. "Wenn man sich diesen Raum als Tumorzelle vorstellt, dann ist die DNA wie eine Kette in diesem Raum. Ein Photon schießt durch den Raum, wie eine Kanonenkugel. So entstehen Schäden an der DNA." Eine gesunde Zelle könne dann in einen Reparaturmodus schalten und sich nicht weiter teilen. "Wenn ich jetzt wochenlang jeden Tag immer mehr Schäden setze, dann kumulieren diese Schäden in der Tumorzelle", so Wolff. "Aber sie teilt sich trotzdem, ohne auf Reparatur zu schalten." Irgendwann ist die DNA der Tumorzelle so geschädigt, dass sich die Zelle nicht mehr teilen kann oder durch das körpereigene Immunsystem abgebaut wird. "Die Ursache, warum ein Tumor entsteht, ist deshalb gleichzeitig der Grund, warum man die Strahlentherapie überhaupt anwenden kann."

Die Anzahl der Krebspatienten steige ständig, weil die Bevölkerung älter werde und Behandlungsmethoden sich verbesserten, sagt Wolff. Er und seine Kollegen Hennies und Habl hatten gezielt nach einem neuen Standort im Münchner Umland gesucht. Dabei stellten sie fest, dass es südlich von München östlich des Starnberger Sees eine Versorgungslücke gebe. Die nächsten Praxen, die eine Strahlentherapie anbieten, befänden sich in Weilheim, Garmisch und Agatharied. Wolfratshausen habe sich angeboten, weil dort die Autobahnanbindung gut und das Kreiskrankenhaus ganz in der Nähe sei. Wolff ist überzeugt, dass die neue Praxis krebskranken Patienten im Landkreis die Behandlung erleichtert. Die meisten Leute kämen mit dem eigenen Auto oder dem Taxi, so der Strahlentherapeut. "Der Tumorpatient will nicht in die Stadt nach München fahren und im Stau stehen, sondern er will zügig behandelt werden." Inzwischen hätten sich schon die ersten Patienten zur Therapie angemeldet, sagt Wolff.

Am Mittwoch, 16. November, wird es eine Eröffnungsfeier in der Praxis Wolfratshausen geben. Für 2023 ist ein Tag der offenen Tür geplant, an dem Interessierte einen Einblick in die Welt der Strahlentherapie erhalten können.

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