Süddeutsche Zeitung

Ideen für die Innenstadt:Smart und grün

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Der Penzberger Stadtrat denkt über die Umgestaltung des Areals westlich des Bahnhofs nach und holt sich dazu Inspiration von einem österreichischen Zukunftsforscher

Von Alexandra Vecchiato, Penzberg

Niemand kann in die Zukunft sehen, Andreas Reiter tut es dennoch. Allerdings nicht mit einer obskuren Glaskugel. Der Zukunftsforscher aus Wien wertet Trends aus und entwickelt daraus Prognosen, wie sich Kommunen künftig neu definieren sollen. Sein Fazit: Eine lebenswerte Stadt ist smart und grün. Das, so Reiter, sollte auch Penzberg beherzigen, will die oberbayerische Kleinstadt ein prosperierendes und pulsierendes Mittelzentrum werden. Konkret geht es um die Frage, was aus dem Areal rund um den Bahnhof werden soll - insbesondere um die große, westlich des Bahngleises gelegene Fläche, die sich im Eigentum der Stadt befindet. Was dort entsteht, hat unmittelbare Auswirkungen auf die Attraktivität der Penzberger Innenstadt.

Gemeinden und Städte seien einem Umbruch unterworfen, sagte Reiter. Das Rathaus hatte den Zukunftsforscher zur Meinungsbildung in den Stadtrat eingeladen, wie auch Christian Hörmann vom Unternehmen "CIMA", das Penzberg seit vielen Jahren bei Stadtplanung und Einzelhandelsentwicklung berät. Es gebe zwei große Trends, betonte Reiter: Digitalisierung auf der einen und Dekarbonisierung auf der anderen Seite. Das bedeutet, dass sich etwa der Online-Handel nicht mehr wegdiskutieren lässt und sich örtliche Geschäfte darauf einstellen müssen. Ebenso ist die Tendenz zu mehr Grün in den Innenstädten auszumachen. Reiter nennt dies den "grünen und smarten Umbau".

Eine weitere zentrale Rolle, so der Zukunftsforscher, spielten Räume für soziale Begegnungen. "Die postpandemischen Werte sind wichtiger denn je", sagte Reiter. Dazu zählen unter anderem Natur und Gemeinschaft. Die Corona-Krise habe die Menschen umdenken lassen. Sie hätten gelernt, dass das Arbeiten von Zuhause machbar sei, weshalb Wohnen außerhalb der Metropolen ohne lange Fahrten ins Büro noch attraktiver werde. Kommunen im Umland würden so zu "Sehnsuchtsräumen", kreative Co-Working-Spaces boomten. "Ihr Ort hat ganz, ganz große Zukunftschancen", sagte Reiter. Zumal Penzberg nur eine Autostunde von München entfernt liege.

Doch was nützen diese Standortvorteile, wenn das Umfeld nicht passt und keiner sich in Penzberg aufhalten möchte. Daher sei es, so der Forscher aus Wien, zwingend nötig, junge, qualifizierte Menschen zwischen 18 und 35 Jahren zu halten. Das Hauptaugenmerk legt er dabei auf Frauen. "Wo keine jungen Frauen sind, sind wir tot", sagte Reiter. Derzeit sind in Penzberg 45,1 Prozent der Einwohner 50 Jahre und älter. In einer Innenstadt seien "Räume für kollektives Erleben" wichtig. "Eine Innenstadt ist tot, wenn sie sich einzig an Kauflogik orientiert", betonte Reiter und widersprach damit dem Ruf, große Einzelhandelsflächen seien das Allheilmittel, um Innenstädte vor Verödung zu retten. Vielmehr plädiert Reiter für eine Kleinteiligkeit: Quartiere mit einer Mischung aus Handel, Manufaktur, Freizeit, Kultur, smarter Produktion und Wohnen müssten geschaffen werden. "Innenstädte müssen so sein wie eine gute Party", zitierte er den dänischen Stadtplaner Jan Gehl.

Umgemünzt auf die 7655 Quadratmeter große Fläche, die momentan mit etwa 220 Stellplätzen als Park&Ride-Platz genutzt wird, bedeute dies, dass man sich in Penzberg gute Konzepte überlegen und einen passenden Investor suchen müsse, ergänzte Christian Hörmann seinen Vorredner. Die Stellflächen müssten "irgendwie" erhalten bleiben, ansonsten müsse sich der Stadtrat Gedanken machen, ob dort Gastronomie, "neues Arbeiten" und Wohnen stattfinden solle. Ebenfalls wohlüberlegt müssten Höhe und Dichte der Bebauung sein. "Es ist Ihre Arbeit, einem möglichen Investor mitzugeben, was Sie dort haben möchten", wandte sich Hörmann an den Stadtrat. Ein Problem gibt es allerdings: das "trennende Bahngleis". Trotz dieser Barriere zählt Hörmann das Areal westlich vom Bahnhof zum zentralen Versorgungsbereich. "Sie haben da eine richtig große Potenzialfläche" - in die man eben "Hirnschmalz" stecken müsse.

Seit Jahren ist die Umgestaltung der Fläche zwischen Bahnhof und Aldi immer wieder Thema. An die Entwicklung getraut hat sich bislang niemand. Als "inspirierend" bezeichnete Nick Lisson (CSU) die Vorträge. "Das bricht alte Denkmuster auf." Regina Bartusch (SPD) sieht sich vor einer "Herkulesaufgabe". Konkrete Empfehlungen wünschte sich indes Kerstin Engel (Grüne). Zukunftsforscher Reiter gab dem Gremium mit auf den Weg, die Penzberger mit ins Boot zu holen. Online sei es kein Problem, einen Meinungsbildungsprozess anzustoßen und zu moderieren: "Die Bevölkerung kann sich ihre Zukunft dort wie mit Legosteinen zusammenbauen", sagte Reiter. Eine Bürgerbefragung befürwortet auch Bürgermeister Stefan Korpan (CSU).

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SZ vom 05.07.2021
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