Süddeutsche Zeitung

Holzhauser Musiktage:Exquisites Potpourri

Lesezeit: 3 min

Nikola Hillebrand und Nikola Diskić bei den Holzhauser Musiktagen

Von Paul Schäufele, Münsing

Überall Musik. Das ist einer der Vorzüge der Festspielzeit: Festivals bringen den Glanz der internationalen Klassikszene in ausgefallene, sonst nicht zugängliche Räume. Mobile Opernbühnen sind dabei eine Seltenheit. Doch beim Eröffnungskonzert der Holzhauser Musiktage machen die Sopranistin Nikola Hillebrand und ihr Partner, der Bariton Nikola Diskić, die Tenne des Loth Hofs in Münsing zur "Opéra Miniature", mit Temperament und Witz, Spielfreude und unerhört präsenter Musikalität.

In puncto Ausdruck und dramatischem Ausbruch steht Schubert, gerne porträtiert als etwas zahmer, auf innig auskomponierte Gefühlslandschaften spezialisierter Liederkomponist, den Großmeistern der Oper in nichts nach. Das ist die Kernaussage des Vor-Pausen-Teils, den Hillebrand und Diskić abwechselnd bestreiten mit einer Auswahl aus Schuberts Liedschaffen. "Auf dem Wasser zu singen" wird bei Hillebrand zum Gesang über das Vergehen der Zeit. Unangestrengt und mit natürlicher, voll und rund klingender Stimme singt die Sopranistin klare Linien, ohne die Wiederholungen des Strophenliedes mit Variationen zu belasten. Sie gibt den Zuhörenden die Gelegenheit, zu träumen.

Kontrast in jeder Hinsicht bietet "Der Wanderer", mit dem Nikola Diskić sich vorstellt. Sein metallisch glänzender, dabei expressiver Bariton scheint zunächst beinahe zu groß für die Scheune. Mit ausladendem Klang wird schon die erste Phrase deklamiert, von der sich das "Ich wandle still" krass absetzt. Das wirkt forciert, doch im Laufe des Abends findet er den richtigen Zugang. Die Klavierbegleitung übernimmt Johannes Umbreit, der die unerbittlichen Repetitionen, das Voranschreiten des "Wanderers" klangsensibel und mit offenem Ohr gestaltet.

Technisch wirkt der versierte Begleiter allerdings häufig unsicher, was vor allem bei den solistisch aufgeführten Opern-Ouvertüren in der zweiten Hälfte zu hören ist. Die einleitenden, langsamen Akkorde der Romanze aus "Rosamunde", die Harmoniewechsel intelligent nachverfolgt, lassen jedoch aufhorchen. Hier kommt Hillebrands Kunst, das rechte Maß zu finden, voll zur Geltung. Das Einfache des Lieds wird bewahrt, und doch erschafft sie innerhalb weniger Takte einen komplexen Charakter. Im munteren "Lied der Suleika" bringt sie zum ersten Mal ihr gewinnendes Lächeln ins Spiel (Text: "Grüßen mich wohl tausend Küsse"). Mit einer schwungvoll intonierten "Sehnsucht" und dem "Erlkönig" hat sich Diskić zwei der einschlägigen Lieder ausgesucht, die Schubert als den Grenzgänger zwischen Lied und Oper ausweisen. Bei der Goethe-Vertonung geht er dramaturgisch wirksam der Dialogstruktur nach, gestaltet klanglich, aber auch mimisch, das Gespräch zwischen jovialem Vater, halluzinierendem Sohn und hier (passenderweise) ekelhaft-anzüglichem Erlkönig wie ein Terzett. Mit einem hinreißend sprudelndem "Lied der Delphine" endet der erste Teil.

Mit drei Blöcken aus Mozart-Opern, einer Auswahl aus Arien und Duetten, können Hillebrand und Diskić sich endlich der mit Händen greifbaren Leidenschaft zur dramatischen Interaktion hingeben. Der Boden, auf dem die beiden stehen, wird zur Bühne. Etwa bei dem reizenden Duettino aus "Figaros Hochzeit", in dem Hillebrand als schlau verschmitzte, elegante Susanna dem in seiner Unbedarftheit beinahe sympathischen Grafen gegenübersteht, der zuvor ("Hai già vinta la causa") noch so zornig war. Dass Diskić die Charakterwechsel Spaß machen, zeigt sich in seiner Darstellung des Papageno. Den Vogelfreund gibt er mit sichtlichem Vergnügen, den ganzen Tennenraum ausnutzend. Doch das Duett "Bei Männern, welche Liebe fühlen" zeigt eine besonnen, einfühlsam agierende Hillebrand-Pamina, bei der auch der quirlige Diskić-Papageno ruhiger wird. Ernstere Töne schlägt Hillebrand schließlich mit Paminas "Ach, ich fühl's" an. Jeder Ton trifft ins Herz.

Ein letztes Mal wechselt das Sängerpaar die Rollen zu "Don Giovanni". In fließendem Übergang wird in Diskić aus dem Bauchmenschen Papageno der finstere Edelmann, für den die Menschen erst unterhalb des Bauchnabels interessant werden. Mit Brillanz und überschäumender Lust am Spiel singt er die Champagner-Arie, zu der das sanfte "Batti, batti" Hillebrands als Zerlina den Gegenpol bildet. Hier, wie bei allen ihrer Mozart-Interpretationen, zeigt sie die Doppelbödigkeit der Figuren. Das tut sie mit minimalem schauspielerischem Aufwand, aber größtem Effekt, sodass man versucht ist, auszurufen: "Was für eine Stimme!", aber auch: "Was für ein Blick!"

Das Publikum ist hingerissen von der Nonchalance, der Leichtigkeit, mit der Oper hier aufgeführt wird. Nörgler könnten einwenden, dass es wohl nicht im Sinne der Komponisten wäre, ihre Werke in Potpourri-Auswahl zu sehen. Solche Einwände gingen in einstimmigen Bravorufen unter - sollte es im Sinne der Komponisten sein, ihre Werke auf bestmögliche Weise präsentiert zu sehen, dürften sie sich freuen. Zwei Zugaben, ein exquisit witziges Stotter-Duett zwischen Papagena und Papageno sowie Schuberts freches "Die Männer sind mechant" lassen ein lächelndes Publikum zurück und markieren den Anspruch der Musiktage: Musik auf hohem Niveau machen, und Freude bereiten.

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SZ vom 08.07.2019
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