Süddeutsche Zeitung

Historische Altstadt:Vorwärts in die Vergangenheit

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Das Wirth-Haus in Wolfratshausen war einst eine Konditorei. Nun soll dort wieder eine Backstube entstehen. Die Eigentümerin erlaubt dem neuen Pächter dafür sogar, den alten Schriftzug an der Fassade zu ersetzen.

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Für alteingesessene Wolfratshauser war es eine einschneidende Veränderung: Der Schriftzug am Wirth-Haus im Obermarkt, dessen charakteristische 1950er-Jahre-Buchstaben mit den drei Wörtern "Konditorei Cafe Wirth" stets an den einstigen Familienbetrieb in dem Gebäude erinnert hatten, sind seit etwa zwei Wochen nicht mehr zu sehen. Sie wurden von einem schwarzen Schild verdeckt, das darauf hinweist, was in dem Häuschen entsteht: Die Brasserie von Georg Bernhofer, der wenige Hausnummern entfernt seine "Chocoladenmanufaktur" betreibt und sein süßes Sortiment um herzhafte Speisen wie Quiches und Ähnliches erweitern will. Und zwar, soviel verrät er, "noch in diesem Sommer".

Über die Gestaltung des neuen Cafés hält sich der Chocolatier, der sein Handwerk einst bei Lindt und Sprüngli gelernt hat, hingegen so bedeckt wie die Schaufenster, die den trotz Corona fortschreitenden Umbau verdecken. Nicht einmal seine Familie wisse etwas über Einrichtungsstil und Farbwahl, sagt er. "Es soll ja spannend bleiben." Offenbart werde alles, wenn es fertig ist "und die Verdeckung von den Fenstern kommt". Auf ein Datum wolle er sich nicht festlegen. "Man weiß nicht, was kommt", sagt Bernhofer. Durch die aktuelle Lage mit der Corona-Pandemie gebe es immer wieder Lieferschwierigkeiten, gerade bei Einrichtungsgegenständen. "Man glaubt oft gar nicht, welcher Rattenschwanz da mit dran hängt", sagt der angehende Gastronom. Die Möblierung aber stehe inzwischen, nachdem er "in kurzer Zeit einen Plan C" aufgestellt habe. Auch die Theke, die er mit Hilfe eines Schreiners selbst gestalte, sei in Bau.

Der Umbau verlangt Bernhofer und seinem Partner derzeit viel ab. Schließlich müssen die beiden parallel ihre Schokoladenmanufaktur betreiben. Um 6 Uhr morgens fangen sie dort mit der Herstellung der Pralinen und anderer Süßwaren an, um zehn Uhr öffnet der Laden, einer bleibt hinterm Tresen, der andere werkelt nebenan auf der Baustelle. Manchmal geht es nicht anders und sie müssen den Laden kurz schließen. Wie am vergangenen Donnerstag, als morgens überraschend der Spediteur den Ofen geliefert hat. In dem sollen künftig nicht nur Quiches und Nachspeisen, sondern auch die Kuchen und Kekse gebacken werden, die Bernhofer bereits in seinem Laden anbietet. Dort werde es nämlich "langsam sehr eng". Die Expansion soll auch für Entlastung sorgen. "Das Wirth-Haus war früher eine Konditorei und hat die passenden Räumlichkeiten", sagt Bernhofer. Im hinteren Bereich des Cafés werde wieder eine Backstube entstehen, in der dann unter anderem zwei Versionen Panforte hergestellt werden sollen. Schokolade werde weiterhin in der Manufaktur gemacht.

Wenn die Brasserie eröffnet, braucht Bernhofer mehr Personal. Die Stellen habe er bereits im vergangenen Jahr ausgeschrieben, zunächst ohne zu verraten, worum es genau geht. Kurz vor Weihnachten habe er dann per Videobotschaft verkündet, dass er eine Brasserie aufmachen werde - ein Bistro nach französischem Vorbild, in dem er neben Kaffee und Kuchen vor allem herzhafte Speisen anbieten will. Die Vorstellungsgespräche gab es im Februar, inzwischen hat er eine Festangestellte und zwei Minijobber unter Vertrag.

Auch wenn er derzeit kaum zur Ruhe kommt, will Bernhofer nicht von Stress sprechen. "Es ist eine Herausforderung", sagt er lieber über den Umbau der Räume im Wirth-Haus. "Und unterm Strich macht es auch Spaß, sich damit zu beschäftigen." Wenn die Einrichtung da sei, spüre er Erleichterung, Freude und auch ein wenig Stolz über die Expansion. Etwa, als kürzlich die Spindschränke für den Personalraum geliefert wurden: "Früher hatte ich als Angestellter so einen Spind", sagt Bernhofer. "Und jetzt stelle ich sie für meine Arbeitnehmer bereit." Den Beschluss, zwei Häuser weiter eine Brasserie aufzumachen, hat Bernhofer im vergangenen Sommer gefasst, als niemand etwas von Corona geahnt hatte. Die Pandemie hat ihn nicht davon abgehalten, seine Pläne umzusetzen. "Es muss ja weitergehen", sagt er nur dazu. Eine Eröffnungsfeier, wie bei der Schokoladenmanufaktur vor drei Jahren, wird es aber nicht geben. Die Pläne, die er dazu während des Betriebsurlaubs im Januar geschmiedet habe, ließen sich in der derzeitigen Situation nicht verwirklichen. "Wir sollen ja Menschenansammlungen vermeiden." Vielleicht hole man den Event dann zum ersten Jahrestag der Brasserie nach. Wenn der Betrieb in diesem Sommer losgeht, muss sich Bernhofer an die gültigen Bestimmungen halten. Zu den Vorteilen eines Umbaus während der Corona-Krise gehöre, dass man die notwendigen Abstände zwischen den Tischen und Sicherheitsvorkehrungen wie Desinfektion und Plexiglasscheiben am Tresen "mitdenken" könne.

Bernhofer freut sich auf seine Expansion seines kulinarischen Reichs in das kleine Gebäude nebenan, das 1898 erbaut wurde. "Das Haus verdient es einfach, dass es richtig schön belebt wird", sagt er. Das sei auch im Sinne der Eigentümerin Marianne Wirth-Grabow, deren Großvater und Vater dort als Konditormeister gewirkt hatten und die er als "sehr herzliche Frau" beschreibt. Als sie nach Absprache mit den Denkmalbehörden das neue Schild mit seinem Familienwappen über dem alten Schriftzug an der Wand genehmigt habe, sei er schon "ein bisschen ehrfürchtig" gewesen. Es sei so montiert worden, dass kein Bohrloch die Buchstaben beschädigt habe, betont er. Man könnte es praktisch rückstandslos wieder abmontieren. Bernhofer aber will freilich, dass es dort ganz lange hängen bleibt.

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SZ vom 29.06.2020
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