Süddeutsche Zeitung

Grünen-Landtagsabgeordnete:Hans Urban muss vor Gericht

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Der Grünen-Landtagsabgeordnete wurde auf seinem Hof von einem Google-Auto umgefahren - so stellt er es jedenfalls selbst dar. Doch statt des Unfallfahrers ist er nun selbst angeklagt: wegen Vortäuschens einer Straftat.

Von Florian Zick, Wolfratshausen/Eurasburg

Diese Wendung hätte er wohl selbst nicht für möglich gehalten. Der Landtagsabgeordnete Hans Urban hat im Oktober vor knapp zwei Jahren Anzeige wegen Körperverletzung gestellt. Ein Google-Auto hatte sich bei einer Kamerafahrt auf seinen landwirtschaftlichen Hof in Eurasburg verirrt und ihn bei einem Disput mehrfach angefahren - so stellt es der Grünen-Politiker jedenfalls dar. Nächste Woche wird der Fall nun am Amtsgericht Wolfratshausen aufgerollt. Da wird Urban allerdings auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 43-Jährigen Nötigung und falsche Verdächtigung vor.

Es ist ein recht skurriler Fall. Im Kern des Verfahrens geht es nämlich um die Frage, ob die Berührung durch das Google-Auto jeweils ausgereicht hat, um einen erwachsenen Mann zu Fall zu bringen - oder ob Urban bei seinen Stürzen nicht vielmehr ein bisschen geschauspielert hat. Beim Sichten des Videomaterials, das die Dachkamera des Google-Autos und dessen Fahrer mit seinem Handy von dem Vorfall aufgenommen haben, ist die Münchner Staatsanwaltschaft jedenfalls zu dem Schluss gekommen, dass eine Körperverletzung nicht vorliegt. Und weil sich die Justiz nur höchst ungern mit möglicherweise fingierten Straftaten aufhalten lassen möchte, steht seitdem der Landtagsabgeordnete selbst im Fokus.

Vorläufig sind zwei Verhandlungstage angesetzt. Beim Auftakt am kommenden Montag werden im Rahmen der Beweisaufnahme voraussichtlich auch die beiden Videos vorgeführt. Zudem sollen die beiden Gutachter zu Wort kommen, die mit dem Fall befasst waren. Mittlerweile haben nämlich gleich zwei ausgewiesene Fachleute mit ihren jeweils eigenen Mitteln nachzustellen versucht, was am 14. Oktober 2019 auf Urbans Hofs im Eurasburger Ortsteil Oberherrnhausen passiert ist - oder eben nicht passiert sein kann.

Nachdem Urban Mitte vergangenen Jahres eine Geldstrafe in Höhe von 10 500 Euro abgelehnt hatte, hat der Forensiker Jochen Buck eine biomechanische Analyse vorgenommen. Er hat die Videos also dahingehend untersucht, ob die Bewegungsabläufe bei den Stürzen auf einen tatsächlichen Kontakt mit dem Fahrzeug schließen lassen. Buck kommt dabei zu dem Ergebnis, dass Urban nicht umgefahren worden, sondern absichtlich zusammengesackt sei. Für ein von Urban beauftragtes Gegengutachten hat das Ingenieurbüro Fürbeth den vermeintlichen Tatort anschließend mit einem 3D-Laserscanner ausgemessen und mit einer Drohne Luftaufnahmen gemacht. Beim Abgleich der Messergebnisse mit den bestehenden Videoaufnahmen kamen die Unfallanalytiker zu dem Schluss, dass sich das Google-Auto mit ein bis drei Stundenkilometern auf Urban zubewegt habe. Richter Helmut Berger sah deshalb aber noch keinen Grund, das Verfahren einzustellen.

Auch das wäre allerdings schon reichlich spät gewesen, findet Andreas Hofreiter, der Anwalt von Hans Urban. Seiner Ansicht nach hätte man das Verfahren nämlich schon vor anderthalb Jahren einstellen müssen. Denn auch, wenn eine Geschwindigkeit von ein bis drei Stundenkilometern nicht nach viel klinge: Das seien umgerechnet auch 30 bis 80 Zentimeter in der Sekunde. "Und wenn mich mein 25-Kilo-Sohn schon umschmeißen kann", so Hofreiter, dann könne das ein tonnenschweres Auto bei dem Tempo allemal auch. Hofreiter ist sich deshalb sicher: Wäre sein Mandant kein Landtagsabgeordneter, an dem man ein Exempel statuieren kann, wäre die Anklage längst fallen gelassen worden.

Aufgrund der verworrenen Faktenlage gibt es für Hofreiter keine andere Möglichkeit, als den Vorfall bei einem Ortstermin auf Urbans Hof nachzustellen. Sollte das im Rahmen der Gerichtsverhandlung tatsächlich passieren, ließe sich sicherlich auch veranschaulichen, warum es überhaupt zu der Auseinandersetzung mit dem Fahrer des Google-Autos gekommen ist. Schauplatz des Vorfalls ist nämlich ein Privatweg, der über Urbans Hof führt, der beim Kartendienst Google Maps aber als reguläre Straße eingezeichnet ist. Urban hat sich immer wieder darum bemüht, diese Kartierung rückgängig machen zu lassen - bislang allerdings vergeblich. Deshalb habe er dem Google-Auto auch den Weg versperrt, als dieses wieder vom Hof herunterfahren wollte, erklärt Hofreiter. Sein Mandant habe schlicht die Zusage haben wollen, dass die Aufnahmen wieder gelöscht werden. Weil er das Fahrzeug blockiert hat, wird Urban nun allerdings auch Nötigung vorgeworfen.

Wer zur Aufklärung des Vorfalls sicher auch etwas beitragen könnte, ist ein Nachbar von Urban. Der Landwirt hatte im Oktober 2019 beim Vorbeifahren die Auseinandersetzung mit dem Fahrer des Google-Autos mitbekommen und war daraufhin auf Urbans Hof eingebogen. Weil der Mann dabei mit seinem Radlader das Google-Auto eingekeilt hat, muss er sich deshalb ebenfalls wegen Nötigung verantworten. Auf Antrag seines Anwalts wird diese Anklage aber gesondert verhandelt, abseits der Prominenz eines Gerichtsverfahrens gegen einen Landtagsabgeordneten. Weil der benachbarte Landwirt jedoch ebenfalls ein Beschuldigter ist, wird er im Fall Urban auch nicht als Zeuge gehört.

Theoretisch drohen Urban bis zu fünf Jahre Haft. Das ist das bei falscher Verdächtigung vorgesehene Strafmaß - jedenfalls im schlimmsten Fall. Bei Urban würde es bei einer Verurteilung wohl eher auf eine empfindliche Geldstrafe hinauslaufen, das zeigt schon der ursprüngliche Strafbefehl über 10 500 Euro. Da hatte das Amtsgericht 70 Tagessätze zu je 150 Euro veranschlagt.

Mit der Verhandlung und dem Vorführen der Videos dürften sich auch ein paar wunderliche Details aufklären. Hat Urban wirklich gegen die Motorhaube gehauen, wie aus Ermittlerkreisen zu hören war? Hat er den Fahrer des Google-Autos wirklich mit einem Akkuschrauber bedroht? Und hat er sich wirklich selbst den Finger blutig gebissen, um das Unfallszenario realistischer erscheinen zu lassen? Alles Unsinn, sagt sein Anwalt Andreas Hofreiter dazu. Vor allem das mit dem Biss in den Finger. Geblutet habe sein Mandant zwar tatsächlich. Und auch einen Akkuschrauber habe dieser in der Hand gehabt. Die Wunde habe er sich aber mit eben diesem Schrauber versehentlich zugezogen - das könne in einer solchen Stresssituation schon einmal passieren. Er habe jedenfalls höchst selten vergleichbare Fälle, sagt Hofreiter. Im strafrechtlichen Bereich sei das "an Kuriosität sicherlich ein Highlight".

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Quelle:
SZ vom 07.09.2021
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