Süddeutsche Zeitung

Erinnerung an den Elendszug der KZ-Häftlinge:"Wir können alles überstehen, wenn wir es mit Kunst machen"

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In Geretsried zeigt Regisseur Max Kronawitter seine Dokumentation "Als das Grauen vor die Haustür kam" im Beisein von Hubertus von Pilgrim, Schöpfer der 22 Todesmarsch-Mahnmale.

Wie lässt sich das enthemmte Böse authentisch erfassen? Ist der völlige Verlust von Menschlichkeit überhaupt angemessen in Worte zu kleiden, oder sind es eher Bilder, die verstören? Auf beiden Ebenen hat sich der Eurasburger Dokumentarfilmer Max Kronawitter einem Thema genähert, das noch immer schwer fassbar ist: dem grausamen Todesmarsch der Dachauer KZ-Häftlinge, der auch durch den Landkreis geführt und erst südlich von Bad Tölz, bei Waakirchen, sein Ende gefunden hat. "Als das Grauen vor die Haustür kam" ist eine 90-minütige Dokumentation überschrieben, die Kronawitter im brechend vollen, großen Sitzungssaal des Geretsrieder Rathauses zur Diskussion gestellt hat.

Eigentlich war es ein deprimierendes 75-jähriges "Jubiläum", das coronabedingt hatte ausfallen müssen und jetzt mit fünfjähriger Verspätung in Erinnerung gerufen wurde: Was am Ende der 90-minütigen Filmvorführung folgte, war ein allgemeines betretenes Schweigen, dem nur wenige Detailfragen folgten. Sie richteten sich insbesondere an den hochbetagten Schöpfer der 22 Todesmarsch-Mahnmale, Hubertus von Pilgrim, die den Elendszug der KZ-Häftlinge mit Gedenkstationen auch optisch nachvollziehbar machen. Es sei eine große Ehre, dass der Künstler ungeachtet seiner körperlichen Beschwerden den Weg nach Geretsried auf sich genommen habe, freute sich Kronawitter.

Mühsame Recherchen

Was der Filmemacher über die letzten Tage der Naziherrschaft und den Elendszug der KZ-Häftlinge herausgefunden hat, ist ihm nicht einfach in die Hände gefallen, denn die Beklommenheit der Zeitzeugen war oft nur schwer zu überwinden. Die Recherche habe sich mühsam gestaltet. Wer immer das Elend der geschundenen Dachauer Häftlinge mitbekommen habe, habe sich zunächst nur schwer zu Aussagen bereit erklärt, beschrieb Kronawitter seine Arbeit, "die Leute wollten das alles abgeschlossen haben".

Erst spät sei die Bereitschaft in den Befragten gewachsen, Erfahrungen und Erlebnisse preiszugeben. Letztlich sei sein Film nie wirklich fertig geworden, denn just nach Abschluss der Dreharbeiten hätten sich plötzlich Menschen bereit erklärt, ihre Erfahrungen und Details aus den jeweiligen Familiengeschichten doch noch zu schildern. So etwa die Erlebnisse, die der Zeitzeuge Abba Naor im Film schildert- die ständige Angst, vor Erschöpfung den Anschluss an den Elendszug zu verlieren und von vom fanatisierten NS-Wachpersonal kurzerhand erschossen zu werden.

Bluthunde, die auf Menschen abgerichtet waren

Auch Bluthunde, die auf Menschen abgerichtet waren, sorgten für zusätzliches Grauen. Nur zögernd und erst spät berichtet der Eurasburger Landwirt Moritz Sappl im Film von seinem Vater, der auf Weisung der deutschen Soldaten gezwungen wurde, auf seinem Waldstück bei Achmühle liegende Leichen zu beseitigen. Sein Vater habe nur ungern darüber geredet, erinnert sich Sappl junior, auch diverse Gegenstände, die vermutlich den misshandelten Häftlingen zuzuordnen waren, habe er später gefunden, darunter Schuhe.

Das Zustandekommen der 22 aufgestellten Skulpturen erläuterte deren Schöpfer Hubertus von Pilgrim im anschließenden Gespräch im Geretsrieder Sitzungssaal. Nicht in allen Gemeinden, die an der damaligen Todesstrecke liegen, sei das Konzept für das Mahnmal spontan angenommen worden, auch finanzielle Aspekte hätten dabei eine Rolle gespielt. In diesem Kontext würdigte der Bildhauer besonders Ekkehard Knobloch, den Bürgermeister der Gemeinde Gauting, der sich unermüdlich für das Projekt eingesetzt habe. Von seinem eigenen Erinnerungskonzept ist von Pilgrim nach wie vor überzeugt: "Wir können alles überstehen, wenn wir es mit Kunst machen."

Skeptischer zeigte sich da Kronawitter ungeachtet seines Engagements für historische Aufklärung: "Wenn man sieht, welche Kräfte zur Zeit am Werk sind, kommt man zu der Erkenntnis, dass der Mensch eigentlich nicht viel dazugelernt hat." Umso wichtiger sei die gute Zusammenarbeit mit engagierten Vereinen, darunter dem Waldramer Erinnerungsort "Badehaus".

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