Süddeutsche Zeitung

Geretsried:Ein Plädoyer für den Streit

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Gerhard Meinl spricht am Geretsrieder CSU-Stammtisch über Europa und die politische Kultur

Von Felicitas Amler, Geretsried

Gerhard Meinl versteht sich schon beruflich - er ist ein erfolgreicher Blasinstrumentenunternehmer - als Kosmopolit. Insofern liegt dem Dritten Bürgermeister der Stadt Geretsried das Thema "Europa" nicht nur politisch. Er ist geschäftlich viel in Frankreich unterwegs und hat auch Ehrenämter auf internationaler Ebene. Beim Geretsrieder CSU-Stammtisch, der diesmal im Garten des Gasthofs "Neu-Wirt" in Gelting stattfand, bekannte Meinl sich am Sonntag zu Europa, das für ihn ein Wegbereiter des Friedens und ein Garant für den Wohlstand ist: "Ich glaube an Europa", sagte er. Und: "Es ist viel zu tun."

Der Stammtisch unter Leitung des Geretsrieder CSU-Vorsitzenden Ewald Kailberth hatte Meinl um einen Vortrag über Europa gebeten. Die von Kailberth einleitend geäußerte Skepsis ("Ich vermisse die Zusammenarbeit aller Länder") nahm Meinl positiv auf. Man müsse skeptisch sein, auch kritisch, und zwar explizit "destruktiv kritisch", so sagte er: "Die Kritik muss erst einmal den Irrtum zerstören."

Zu den Irrtümern gehört für den Geretsrieder CSU-Repräsentanten, wenn die große Politik "die Kleinen" in Europa vernachlässige: "Die fühlen sich sehr leicht von Deutschland dominiert." Meinl sieht zudem in den meisten Ländern eine Tendenz, die er mit "Volk gegen Eliten" benennt: Die Menschen verstünden "die da oben" nicht mehr, was zu politischen Gruppierungen und Bewegungen wie den Cinque Stelle in Italien, dem Front National in Frankreich und Podemos in Spanien führe. Diese wiederum sieht er auf derselben Ebene wie die AfD in Deutschland.

Zur sogenannten Flüchtlingskrise sagte der CSU-Sprecher, im vergangenen Jahr seien 2,1 Millionen Migranten nach Deutschland gekommen - eine Million von ihnen als Asylsuchende, alle anderen aus der EU. Er zählte auf: 300 000 Syrer, 220 000 Rumänen, 190 000 Polen, 86 000 Bulgaren - "und erst dann kommen die Afghanen mit 84 000". Die Herausforderung der Integration betreffe also vor allem die EU-Migranten: "Wohnungen und Sozialleistungen, da müssen wir ansetzen."

Zur Frage nach den Außengrenzen Europas griff Meinl eine Forderung des früheren Bundesinnenministers Otto Schily auf: "Hotspots" oder, wie er in Anspielung auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sagte, "in den Ländern ein kleines BAMF". Spanien habe es erreicht, direkt in Marokko agieren zu können: "Die verfolgen die Schlepper auf marokkanischem Gebiet."

Der Stammtisch befasste sich auch mit dem Brexit, der öffentlichen Wahrnehmung des EU-Parlaments und dem Verordnungswahn in Europa. Der Referenten sieht es als wichtig an, dass sich Parteien wie seine auch mit übergeordneten Themen ("Nicht nur mit dem Hallenbad") befassen. Auf die Frage von Ernst Walko nach Diskrepanzen zwischen Horst Seehofer und der Kanzlerin sagte er: "Gegen Streit habe ich nichts, denn das ist auch etwas, was uns abgeht." Wenn alles immer "schmusi-busi" sei, komme man nicht weiter. Die großen politischen Debatten seien aber längst in die TV-Talkshows verlagert. Eine Partei müsse Streit auch einmal aushalten und "um die bessere Meinung ringen".

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SZ vom 29.08.2016
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