Süddeutsche Zeitung

Geretsried:Ein Kindergarten mit Bauchnabel

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Die Einrichtung des Temenos-Vereins hat in Gelting nicht nur neue Räume, sondern auch neue Ziele. Und ein Rundes Zimmer, das kindliche Phantasie zu körperlichen Vergleichen inspiriert

Von Thekla Krausseneck, Geretsried

Als sie den Umriss des neuen Temenos-Kindergartens mit kleinen Steinchen nachlegten, kam ein Kind und setzte einen dieser Steine in die Mitte des runden Mehrzweckraums. "Das", soll das Kind gesagt haben, "ist der Bauchnabel." Der Runde Raum ist nun fertig: In der Mitte hängt an der Decke eine ringförmige Lampe. Dasselbe Symbol strahlte am Freitag auch von den bunten T-Shirts der Temenos-Angehörigen: ein Ring mit einem Punkt in der Mitte. Dass es nun nach der Definition des Kindes mit dem Steinchen einen Bauch mit einem Bauchnabel darstellen könnte, oder eben den Runden Raum im neuen Domizil der Kita, ist offenbar Zufall: Tatsächlich sei das Symbol von den Pfadfindern entliehen worden, die es als Wegzeichen verwendeten, um zu zeigen, dass sie eine Aufgabe beendet hätten.

Auch Temenos ist am Ende eines langen Wegs angekommen, und das hat die alternative Einrichtung mit einem großen Fest gefeiert. Zur Eröffnung am Freitag kamen gut 200 Menschen - heutige und ehemalige Kinder, Eltern, die schon seit Generationen dabei sind, teilweise selbst den Temenos-Kindergarten besuchten und jetzt ihre eigenen Kinder hinschicken, Vertreter der Städte Geretsried und Wolfratshausen, sogar die Reinigungskraft wurde persönlich begrüßt. Temenos, das ist eben mehr als eine Kita: "Es ist ein Raum in uns", heißt es in der Festschrift der Einrichtung, geschrieben von den Leiterinnen Chiara Belli-Obser und Daniela Kuchenbauer. Temenos ist offenbar auch eine große Familie, die sich zu wichtigen Ereignissen wiedertrifft und nie wirklich aus den Augen verliert.

Die Familie wird noch weiter wachsen, denn mit seinem neuen Haus hat sich Temenos ausgedehnt: Seit Anfang Mai betreut das Team nicht nur Kindergarten-, sondern auch Krippenkinder, im September eröffnet darüber hinaus ein Hort. Zwei Stockwerke hat die Kita, unten ist Platz für zwei Kindergartengruppen mit je 19 Kindern, oben hat die Krippe ihre Räume, in der gegenwärtig zwei Gruppen mit je neun Kindern betreut werden. Gegenüber der Krippe liegen die Horträume mit Ess- und Hausaufgabenzimmer und einer Außentreppe, über welche die Erst- bis Viertklässler nach der Schule in den Hort gelangen können, ohne erst durch den Kindergarten laufen zu müssen. 17 Kinder haben im Hort Platz; ein bis zwei Plätze sind Kuchenbauer zufolge noch frei.

2,1 Millionen Euro hat der Bau gekostet, von denen 1,5 Millionen Euro die Stadt Geretsried und der Freistaat übernommen haben. Die restlichen 600 000 Euro wurden über einen Kredit finanziert, der erst in 25 Jahren abbezahlt sein wird. Spenden gab es ebenfalls: Für je 444 Euro konnten Solarpaneele mitfinanziert werden, für 20 Paneele gingen bislang Spenden ein. Im Temenos sind 13 Mitarbeiter beschäftigt, sechs im Kindergarten, fünf in der Krippe und zwei im Hort.

Ein Blick in die Vergangenheit der Kita erklärt, warum auch die Feier ein bisschen mehr war als eine Einweihung. Bis Ende 2012 hatte Temenos sein Domizil in einer Villa in der Beuerberger Straße in Wolfratshausen. Als das Landratsamt die Betriebsgenehmigung nicht mehr erteilte, weil das Haus schwer sanierungsbedürftig war, wollte der Temenos-Verein das Haus zunächst kaufen. Doch er hätte den Kauf und die Sanierung nur finanzieren können, wenn die Stadt Wolfratshausen den Bedarf für weitere Gruppen anerkannt hätte - was sie nicht tat. Weil auch die Eigentümerin mit dem Preis hart blieb, musste Temenos das Haus verlassen. "Wir hatten Angst, dass wir daran zerbrechen", sagte Belli-Obser. Auf dem Spiel stand etwa die Atmosphäre, man befürchtete, dass Familien abspringen könnten, "weil Temenos nicht mehr so sein wird, wie es ist". Als die naturverbundene Einrichtung dann auch noch in Container ziehen musste, schien der Tiefstpunkt erreicht: "Doch wir sind dadurch zusammengewachsen." Den "Neuzeitlichen", also jenen Temenos-Angehörigen, die die Gründung 1984/85 nicht selbst miterlebt hatten, sei diese Phase wie eine Gründungszeit vorgekommen.

Mit dem Einzug ins neue Haus ist der Zwist mit Wolfratshausen offenbar verziehen. "Der Standort verbindet die beiden Städte", sagte Belli-Obser. Kirchlich gehört Gelting zu Wolfratshausen, kommunal zu Geretsried. Das perfekte Bindeglied also, wie der Geretsrieder Bürgermeister Michael Müller in seiner kurzen Ansprache anklingen ließ: Demnach sei Temenos am Ende seiner Reise "in der Herzkammer des Mittelzentrums" angekommen.

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SZ vom 18.05.2015
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