Süddeutsche Zeitung

Fotografie:Die perfekte Welle

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Wasser fasziniert den Fotografen Michael Fackelmann. In Bad Tölz sind nun zwölf seiner Bilder von Eisbach-Surfern zu sehen

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Über die Eisbachwelle in München gibt es eine schöne Geschichte: Sie handelt von einem amerikanischen Soldaten, der in München stationiert war. Das Heimweh nach Kalifornien und den dortigen Stränden trieb ihn aus der Kaserne, über den Altstadtring, vorbei an Autos und Radfahrern, das Surfbrett unter dem Arm. Im Englischen Garten, neben dem Haus der Kunst fand er sie: die perfekte Welle. Soweit die Geschichte, die nicht verbürgt ist.

Tatsache ist, dass die stehende Welle im Eisbach seit den 1980er-Jahren Surfer und Schaulustige in Heerscharen anlockt. "Sie ist inzwischen eines der am meisten fotografierten Motive in München", sagt Michael Fackelmann. Der Fotograf wohnt in der Nähe der Eisbachwelle, und auch ihn zieht sie seit Jahren magisch an. Gesurft ist er noch nie, aber seit zwölf Jahren fotografiert er sie immer wieder: zu allen Tages- und Nachtzeiten, aus wechselnden Perspektiven, mit unterschiedlicher Belichtungszeit. Seine Fotografien wirken wie Aquarelle. Sie verfremden das Motiv, ohne es digital zu manipulieren und öffnen den Blick für eine Realität jenseits der Objektivität. Zwölf dieser faszinierenden Fotoarbeiten sind zurzeit im Kunstraum "öHa" von Christian Stadelbacher zu sehen, ebenso ein dreieinhalbminütiger Videofilm über die Welle, den Fackelmann zusammen mit Klaus Wagenhäuser gedreht hat. Erst im Juni wurde seine viel beachtete Ausstellung "Servus Alpamare" im Tölzer Kunstsalon gezeigt.

Seine Affinität zu Wasser hänge vermutlich damit zusammen, dass er in Hamburg aufgewachsen sei, erzählt Fackelmann bei der Vernissage am Donnerstag. Der 75-Jährige gehört zu den renommiertesten Fotografen Deutschlands. Er studierte an der Kunsthochschule in Hamburg und an der Bayerischen Lehranstalt für Fotografie in München. Fast alle wichtigen deutschen Tageszeitungen, darunter die Süddeutsche Zeitung, Die Welt und die FAZ, druckten seine Bilder. Fackelmann drehte Kurzfilme fürs Kino und für die ZDF-Kinderserie "Rappelkiste" und wurde dafür mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Er schrieb Drehbücher und veröffentlichte Fotobücher über Hamburg und München.

"Mich fasziniert Bewegung", sagt er. Der Ritt auf der Welle, das sei eine Form des Tanzes. Die meisten Bilder der Ausstellung sind analog fotografiert. Die immer gleiche Eisbachwelle - in den Bildern wirkt sie ganz unterschiedlich: Manchmal erscheint das dunkle Wasser wie ein Gebirge, die weiße Gischt wie ein Meer aus Wolken. Dann wieder beinahe stofflich; wie weißes Haar fließt das Wasser oder wirkt gefaltet und kristallin wie eine Folie. Menschen sind auf den Bildern nur als schattenhafte Umrisse zu erkennen, auf manchen lassen sich rot-verwischte Surfbretter erahnen.

Neuerdings fotografiert Fackelmann die Welle auch nachts; denn seit die Surfer eine mit Generator betriebene Beleuchtung installiert haben, ist dort auch Betrieb, wenn es dunkel ist. In einem der Bilder spiegelt sich das orangefarbene Licht einer Straßenlaterne unter der Welle. Fackelmann positioniert das Stativ mit seiner Leica-Kamera meist auf der flussabwärts rechten Seite des Eisbachs. Denn dort sei das Licht besser, und dort hat er die Schaulustigen im Rücken und nicht vor der Kamera.

Seine Arbeiten seien oft Zufallsprodukte, Ergebnisse von Experimenten vor allem mit unterschiedlichen Belichtungszeiten. Fackelmann liebt analoge Fotografien, aber das Experimentieren sei mit der Digitalkamera einfach leichter "und billiger". Seine Bilder sollen nicht einfach nur abbilden, sondern eine andere Realität zutage bringen. "Es gibt Formen, die mit dem Auge nicht zu sehen sind", sagt er. Erst auf Fotografien werden sie sichtbar, zeigen das, was da ist, aber dem menschlichen Auge verborgen bleibt und nur von der Linse der Kamera eingefangen werden kann.

Gastgeber Christian Stadelbacher sagt, er freue sich sehr, dass Fackelmann seine Wellenbilder und das Video zum ersten Mal überhaupt "und dann in meinem kleinen Kunstraum" zeige. "Aber wir sind hier schließlich nicht Provinz, wir sind Provence", zitiert er Gerhard Polt. Vor zweieinhalb Jahren hat auch Fackelmann seinen Lebensmittelpunkt in die Tölzer Provence verlegt. "Ich fühle mich hier sauwohl", sagt er. Auch ein neues Projekt schwebt ihm vor: Eine Ausstellung mit Tölz-Motiven - "aber nicht wie aus dem Werbeprospekt".

Ausstellung "Die Welle", Fotografien und ein Video von Michael Fackelmann, bis 13. November, täglich 14 bis 18 Uhr, Kunstraum "öHa", Jungmayrplatz 11.

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Quelle:
SZ vom 05.11.2016
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