Süddeutsche Zeitung

Epoche der Pracht:Sünder und Sinnlichkeit

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Der Barock verbindet die Darstellung von Höllenqualen mit Schönheit und Kraft

Von Kaija Voss, Benediktbeuern

Kloster Benediktbeuern wurde 725 von Karl Martell als weltlicher Stützpunkt gegründet, kurze Zeit später, ebenso im 8. Jahrhundert, folgte die Benediktinerabtei. Die barocke Architektur stammt von 1669 bis 1679. Im großen Festsaal im Westflügel finden regelmäßig Konzerte statt. Hier sind auch die Deckengemälde des Tiroler Barockmalers Stephan Kessler. Er schuf sie zusammen mit dem Baumeister Caspar Feichtmayr. Sie zeigen unter anderem die vier Elemente, die Erde als Einheit von Mensch, Tier- und Pflanzenwelt sowie antike Gottheiten als Reich der Planeten. Ebenso im Festsaal zu sehen ist der zwölfteilige Monatsbildzyklus, der Reigen der Monate. Die Gemälde Kesslers sind häufig geprägt von üppigen Dekorationen, prunkvollen Kostümen und fast ausgelassenen Szenen, von einer eigenen Sinnlichkeit und Körperlichkeit - Barock eben.

Auch andernorts wird die Epoche perfekt inszeniert: Drei barocke Kalvarienberge im Landkreis zeigen bildhaft die Kreuzigung Christi und seinen Leidensweg. Die Aufstiege sind steil und schweißtreibend. Der Kalvarienberg von Lenggries stammt aus dem 17. Jahrhundert, er ist einer der ältesten in Bayern und Vorbild für die heute weitaus bekanntere Anlage in Bad Tölz. Angeregt von Lenggries ließ der Tölzer Salz- und Zollbeamte Friedrich Nockher den Tölzer Kalvarienberg von 1711 bis 1723 gestalten - auf einer damals schlicht Höhenberg genannten Hinrichtungsstätte. Die Anfänge des Kalvarienberges von Wolfratshausen gehen in das 17. Jahrhundert zurück. Im Bergwald wurde 1643 die Frauenkapelle, 1715 die Dreifaltigkeitskapelle erbaut. Kreuzweg und Kalvarienberg mit Werken des Rokoko-Bildhauers Philipp Jakob Rämpl kamen im 18. Jahrhundert dazu.

Um zum ältesten Stationsberg des Isartales zu gelangen, folgt man von der Lenggrieser Bahnhofstraße aus der Karwendelstraße in südlicher Richtung. Nach gut 1,5 Kilometern biegt man links in eine kleine Straße ein, von hier ist die imposante Anlage gut zu sehen. Man muss schon einiges zu büßen oder sehr viel Freude am Bergauflaufen haben, um die 236 schmalen Stufen zu erklimmen. Oder großes kunsthistorisches Interesse: Oben erwarten den Besucher zwei Kapellen, die Heilig-Kreuz-Kapelle mit Heiliger Stiege und die Grabkapelle, mit Nachbildung des Grabes Christi. Eine überlebensgroße Kreuzigungsgruppe, das Benefiziatenhaus, heute Wohnhaus der Mesmerfamilie, 14 Kreuzwegstationen und der unverbaute Bergblick belohnen die Kraxelei.

Die großartige Anlage geht in das Jahr 1694 zurück und wurde bis 1734 ausgebaut - zu den barocken Anfängen kamen Rokoko-Elemente. Im Zuge der Gegenreformation entstanden in ganz Europa Kalvarienberge. Zentrale Idee des sakralen Theaters war die Festigung des Katholizismus, die bildreiche und emotionale Antwort auf den kargen, schmucklosen Protestantismus. Reisen war in jenen Zeiten beschwerlich und teuer. Die wenigsten konnten nach Rom pilgern und dort die Scala Santa im alten Lateranspalast empor rutschen.

Graf Ferdinand Josef von Herwarth zu Hohenburg holte daher die Heilige Stiege nach Lenggries und finanzierte die Errichtung des Kalvarienberges. Bei fünf Stationskapellen wird der Besucher in das biblische Geschehen einbezogen. Die Kreuzwegkapellen sind kleine gemauerte Guckkästen, mit Szenen der Passion und des Opfertodes Christi. Barocke Volksfrömmigkeit offenbart sich in einfachen, bildhaften Szenen. Trotz der Grausamkeit der Buße und der den Sünder erwartenden brennenden Höllenqualen - sie sind an der Grabkapelle drastisch dargestellt - hat die Anlage auch eine unglaubliche Schönheit und Kraft. Gerade im lebensfrohen Bayern zeigen sich im Barock und im darauf folgenden Rokoko ungeheure Dynamik, die deren machtvolle römische Herkunft mit Leichtigkeit und Theatralik verbindet. In Lenggries und Tölz finden sich pausbäckige Engelchen, die, galant und unschuldig blickend, Folterwerkzeuge in den Händen halten, umgeben von prächtigen Engelsflügeln und Himmelstrahlen aus Blattgold. Der reuige Sünder überwindet die 28 Stufen der Heiligen Stiege auf Knien, mit einem Vaterunser und einem Ave Maria auf jeder Stufe. Auf dem Hauptaltar thront Christus an der Geißelsäule, gefesselt und trotzdem strahlend, nicht von dieser Welt, alle Blicke auf sich ziehend.

Auf dem Kalvarienberg in Lenggries suchen seit dem 17. Jahrhundert Bitter und Büßer Trost und Absolution. Dass der Ort in den Augen der Gläubigen tatsächlich Wunder bewirkt, zeigen zahlreiche Votivtafeln in beiden Kapellen. Sie schildern Leben und Arbeit in den Bergen und die Dankbarkeit für überwundene Gefahren. Eine Tafel erinnert an die Sendlinger Mordweihnacht von 1705.

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SZ vom 26.08.2017
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