Süddeutsche Zeitung

Ein Festival mit "ganz neuen Formaten":Ein Hügel voll Worte

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Die Stiftung Kunst und Natur lädt erstmals zu ihrem neu konzipierten Literaturfest nach Nantesbuch ein. Drei Tage lang dreht sich alles um die Rückkehr der Mündlichkeit, um Podcasts, Videoschnipsel und ein Lyrik-Karussell

Von Stephanie Schwaderer, Bad Heilbrunn

An einem der verschlafensten Orte im Oberland kündigt sich Außergewöhnliches an. In Nantesbuch, einem kleinen, von der Welt scheinbar vergessenen Weiler nördlich von Bad Heilbrunn, geht an diesem Wochenende erstmals das neu konzipierte Literaturfest der Stiftung Kunst und Natur über die Bühne - genauer: über Hügel und Wiesen und den frisch gefegten Boden der landwirtschaftlichen Einstellhalle. Dort, wo sonst Traktoren und Hänger parken, sind gerade Handwerker im Einsatz. Kabel werden verlegt und Fenster poliert. Draußen kräht ein Hahn. Am Freitag, 24. September, wird Matthias Brandt hier die Lesefassung seines Romans "Blackbird" vorstellen, bevor Dalibor Marković und das Elektro-Duo Psycho & Plastic zum Poetry Slam bitten.

Auch für die beiden folgenden Tage hat sich Kurator Hans von Trotha einige Überraschungen ausgedacht. "Ganz neue Formate", verspricht der Historiker und Schriftsteller. Am Samstag soll sich der Hügel in ein Festivalgelände verwandeln. Mit Foodtrucks und Liegestühlen - und einem üppigen Angebot zeitgenössischer Literatur in all ihren Ausprägungen. "Der Hof Nantesbuch wird für drei Tage zur Agora für die Begegnung von Autorinnen und Autoren, Literaturwissenschaftlern, Interpreten und Musikern", so Hans von Trotha. Sein Auftrag sei es gewesen, "auf dem neuen Hügel etwas Neues auszuprobieren". Zur Erinnerung: In den vergangenen vier Jahren hatte die Stiftung, die ursprünglich Stiftung Nantesbuch hieß, auf dem Nachbarhügel, Gut Karpfsee, zum Moosbrand Literatur- und Musikfest eingeladen. Nun wird erstmals der landwirtschaftlich geprägte Weiler Nantesbuch bespielt - Halle, Scheune, Permakulturgarten - mit herrlichen Ausblicken ins Land und Gebirge. Als zentrales Thema hat Hans von Trotha für das Festival "die Rückkehr der Mündlichkeit" im Literaturgeschehen ausgewählt. Das Motto lautet: "Es gilt das gesprochene Wort".

Ausgangspunkt seiner Programmplanung sei die Beobachtung gewesen, dass das Lesen bei jungen Leuten immer mehr aus der Mode komme. "Stattdessen hört man Podcasts und kommuniziert mit Sprachnachrichten." Die Grundlage dafür böten neueste technische Entwicklungen. Dies sei kein Grund, kulturpessimistisch zu werden, sagt von Trotha. "Die gesprochene Sprache transportiert ganz andere Botschaften als die geschriebene." Zudem komme die Literatur ja aus der Mündlichkeit, aus dem Gesang. Lyrik fange erst an zu klingen, wenn sie gesprochen werde. Andererseits lebten Schriftsteller vom gedruckten Wort. All dies soll aus vielen - auch vielen jungen - Perspektiven beleuchtet und diskutiert werden.

Wer mag, kann sich mit Kopfhörern auf eine Lichtung legen und Thea Dorn lauschen. Sie hat für diesen Anlass das Auftragswerk "Lichtung" verfasst, einen Text, der nie gedruckt werden wird, sondern nur hörbar zu erleben ist. An drei idyllischen Plätzen wird sich ein "Lyrik-Karussell" drehen. Kaveh Akbar (Iran), Volha Hapeyeva (Belarus) und Leo Pinke (Deutschland) lesen fünfmal 20 Minuten lang aus ihren Gedichten. Die Besucher können von einem Ort zum anderen wandern. Auch der Roman ist in vielerlei Gestalt vertreten und soll im Gespräch mit den Autorinnen und Autoren auf seine mündlichen Elemente hin überprüft werden. Mit von der Partie sind die Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo, der junge Däne Jonas Eika und der Essayist Marcel Beyer. Mit Thea Dorn möchte Hans von Trotha "über ihren neuen Briefroman streiten". Die junge Autorin Stefani Sargnagel hat er eingeladen, weil sie "sehr tough, sehr krass" ganz auf gesprochene Sprache setze.

Für sein Konzept hat Hans von Trotha unter anderem streitbare junge Autorinnen und Autoren eingeladen wie...

...Stefanie Sargnagel...

...und Jonas Eika.

Aber auch preisgekrönte Interpreten wie Anna Thalbach sind dabei.

Wer sich wissenschaftlich mit der Thematik auseinandersetzen mag, kann sich einer Expertenrunde mit Thomas Macho, Bénedicte Savoy und Eva Ehninger zugesellen. Unterhaltsam verspricht eine Lehrstunde zum Podcast zu werden - " dem Medium unserer Zeit", wie Hans von Trotha betont. Dafür hat er die Literaturredakteurin Wiebke Poromka und den Hörbuch-Regisseur Roman Neumann gewonnen. Dritter im Bunde ist der legendäre Radiomoderator Jürgen Kuttner. Schon in den 1980er Jahren nutzte dieser, damals noch in der DDR, das Radio für neue, witzige Formate, die nah am heutigen Podcast waren. Kuttner wird auch einen Videoschnipsel-Vortrag halten mit dem Titel: "Ich seh keine Landschaft, ich seh nur Gegend".

Am Samstagabend lesen Anna Thalbach und Daniel Sträßer aus T.C. Boyles Erzählungen "Sind wir nicht Menschen". Musikalisch begleitet werden sie von dem Schweizer Tonkünstler Marcus Maeder, der aus den Klängen der Nantesbucher Landschaft sphärische Musik komponiert.

Das Jahresthema der Stiftung, "Tempo", bringt am Sonntag, 26. September, Altmeister Stan Nadolny ins Spiel. Er liest aus seinem Klassiker "Die Erfindung der Langsamkeit" und erörtert im Gespräch mit Tilman Spengler "die Langsamkeit der Sprache und der Landschaft". Ums Tempo geht es auch in Christian Schulteisz' Romandebüt "Wense". In einer rastlosen Sprache erzählt er von einem "Allesforscher", der die Entschleunigung sucht. Dabei nimmt er Bezug auf Kammermusik aus dem frühen 20. Jahrhundert von Ildebrando Pizzetti. Wie dies zusammen klingen mag? Eine Antwort liefern der junge Autor und das Rodin Quartett, das sich eigens für diesen Auftritt die Pizzetti-Werke erarbeitet hat.

Da Scheune und Einstellhalle viel Platz bieten, gibt es auch für Kurzentschlossene noch Karten. Alternativ kann man das Festival mit dem "Landschaftsradio" erleben: Kopfhörer aufsetzen, durch die Natur schlendern und die Worte wirken lassen.

Literaturfest Nantesbuch, 24. bis 26. September, Infos und Karten unter www.kunst-und-natur.de

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SZ vom 23.09.2021
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