Süddeutsche Zeitung

Neuer Kulturtreffpunkt:Sigrid Heucks Vermächtnis

Lesezeit: 3 min

Genau ein Jahr nach dem Tod der bekannten Kinderbuchautorin kommt wieder Leben in die Grabenmühle: Drei Frauen schenken dem Einödhof eine Zukunft.

Von Stephanie Schwaderer, Dietramszell

Die Grabenmühle bei Einöd steckt voller Geheimnisse. Das wusste niemand so gut wie die Kinderbuchautorin Sigrid Heuck, die in dem uralten Gehöft zwischen Wald, Weiher und Staatsstraße 2072 den Großteil ihres Lebens verbracht hat. Nun, genau ein Jahr nach ihrem Tod, gibt es in der verlassenen Mühle gleich mehrere Überraschungen. Eine davon heißt Barbara Holzmayr, hat einen festen Händedruck und Lachfältchen um die Augen. Viele Jahre hat sie für Heuck gebügelt und geputzt. Nun ist sie die Eigentümerin des denkmalgeschützten Anwesens - eine Tatsache, die sie selbst noch nicht ganz fassen kann: "Manchmal sitze ich im Auto vor dem Haus und denke: So, das ist jetzt also deins."

Warum die Haushälterin?

Heuck hat der "Alten Mühl'" ein ganzes Buch gewidmet. Auch über ihrem Testament dürfte sie lange gesessen sein. Warum hat sie ihren wertvollen Besitz nicht den Familienangehörigen in Berlin vermacht? Warum ihrer Haushälterin? Um eine Antwort zu finden, muss man Barbara Holzmayr nur eine Weile durch Haus und Garten folgen. Auf einem Fensterbrett liegen wie zufällig fünf rote Äpfelchen, auf der Holzbank daneben sitzt ein dicker Kürbis. Vom Balkon ergießt sich ein Blumenschmuck. Keine Frage: Dieses Haus wird geliebt. "Ich habe es immer so behandelt, als ob es mein eigenes wäre", sagt sie - und behandelt es zugleich so, als säße Sigrid Heuck noch immer in der Ecke hinterm Kachelofen.

Den schürt Holzmayr an jedem kalten Tag an. Seit 14 Jahren. Auch im vergangenen Winter hat sie das getan, als die Schriftstellerin begraben und die Mühle verwaist war. "Man kann so ein altes Haus nicht allein lassen", sagt sie. Bald sei sie deshalb zu ihrem üblichen Tagesablauf zurückgekehrt: Früh aufstehen, nach Tölz in die Arbeit fahren, daheim in Peretshofen die Familie versorgen und in der Grabenmühle nach dem Rechten sehen. Tag für Tag.

Barbara Holzmayr...

...ist mit Sigrid Heuck und deren Büchern groß geworden, kennt jedes "vom ersten bis zum letzten".

Schon als Kind war Holzmayr von der Grabenmühle begeistert. Jetzt gehört das Anwesen ihr.

Mit "Pony, Bär und Apfelbaum" das Lesen gelernt

Wenig dort hat sich verändert. Am wichtigsten sind Holzmayr Heucks Bücher, mit denen sie aufgewachsen ist. "Vom ersten bis zum letzten", wie sie sagt. Und das waren immerhin mehr als hundert. Wie unzählige andere Kinder hat sie mit "Pony, Bär und Apfelbaum" das Lesen gelernt. Am kommenden Freitag wird sie dabei sein, wenn Heucks allerletztes Buch präsentiert wird.

Schon ihre Mutter, eine Einöderin, hatte als Haushälterin für Sigrid Heucks Mutter gearbeitet. Diese betrieb in Bairawies eine legendäre Ponyzucht. 1949, im Alter von 17 Jahren, zog Sigrid Heuck mit ihren Pferden in die Grabenmühle. Sie besuchte damals eine Modeschule in München, absolvierte ein Studium der Gebrauchsgrafik an der Akademie der Bildenden Künste, arbeitete für Werbeagenturen. Dann entdeckte sie ihre Ader für Kinderbücher. Und immer, wenn sie ein Buch fertig hatte, schenkte sie ein Exemplar der kleinen Barbara.

Es geht um ideelle Werte

Mittlerweile hat diese selbst drei Kinder und sechs Enkel. Heucks Werk hütet sie noch immer wie einen Schatz. Aber auch all die anderen Sach- und Geschichtsbücher, die Klassiker, Krimis und Atlanten, die sich in der Stube bis unter die Decke stapeln, sind ihr viel wert. Genauer gesagt: Mehr als eine Isar-Wiese. "Ich habe mich mit den anderen Erben geeinigt und die Bibliothek gegen ein Stück Land eingetauscht." Wirtschaftlich sei das vermutlich kein kluger Schachzug gewesen, räumt sie ein. "Aber hier geht es ja um ideelle Werte."

Um die geht es auch zwei anderen Frauen, mit denen sie unlängst den "Freundeskreis Grabenmühle" gegründet hat: Brigitte Klemm-Neumann und Anja Brandstäter. Klemm-Neumann war lange Zeit Kindergärtnerin in Dietramszell und häufig zu Vorlesestunden in der Mühle zu Gast. Ihr hat Heuck die Rechte an all ihren Werken vererbt. Anja Brandstäter ist zusammen mit ihrem Bruder Matthias, besser bekannt als "Troll Wurlitz", in Bairawies groß geworden. Ihre innigsten Kindheitserinnerungen sind mit Heuck und der Mühle verbunden.

Bis zu ihrem Tod ist die Autorin für sie ein "Vorbild in Sachen Leben" gewesen, sagt die studierte Kulturwirtin: "Ich war ein Lehrerkind, ich habe sie bewundert!" Die große Frage: Wie soll es nun weitergehen, scheint den drei Frauen keine Angst zu machen. "Im Mai haben wir hier Sigrids Geburtstag gefeiert", erzählt Brandstäter. "Es war so eine gelöste, heitere Stimmung, gerade so, als wäre sie dabei gewesen." Nun wollen sie - "ganz in Sigrids Sinne" - wieder Leben ins Haus bringen. Vor kurzem gab es eine Vorpremiere: Tinga Horny, die als Kind in Dietramszell gelebt hatte, las aus ihrer Autobiografie - vor 70 begeisterten Gästen, die sich auf engsten Raum in die Stube gequetscht hatten. Die vordersten stießen mit den Knien am Lesepult an. "Gemütlich", sagt Holzmayr.

Ein Versprechen auf Gegenseitigkeit

Sigrid Heuck war alleinstehend, aber nie alleine. Sie hatte (und hat) einen starken Freundeskreis, mit dem Schriftsteller Max Kruse telefonierte sie täglich. Mit Anfang 80, erzählt Holzmayr, als es ihr gesundheitlich schon schlecht gegangen sei, hätten sie einmal ein denkwürdiges Gespräch geführt. "Sie hat mich gefragt: Barbara, kann ich dich nicht adoptieren?" Holzmayr lacht. "Aus diesem Alter war ich ja dann doch schon heraus." Ihre Antwort: "Ich bin da. Und ich bleibe bei dir." Ein Versprechen, das in der Grabenmühle womöglich auf Gegenseitigkeit beruht.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2015
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