Süddeutsche Zeitung

Dietramszell:Auf Distanz zur Nazizeit

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Der Gemeinderat revidiert seinen Beschluss und erkennt nun die Ehrenbürgerwürden für Hitler und Hindenburg in aller Form ab. Amelie Fried spricht mahnende persönliche Worte.

Von Petra Schneider

Der Dietramszeller Gemeinderat hat am Dienstag seinen folgenschweren Beschluss der Vorwoche korrigiert: Einstimmig wurde entschieden, sich von der Verleihung der Ehrenbürgerwürde für NS-Politiker zu distanzieren. Darüber hinaus stimmten alle Räte einem Antrag von Hubert Prömmer (Grüne) zu, Hitler und Hindenburg die Ehrenbürgerwürde förmlich abzuerkennen. Alle 21 Gemeinderäte und etwa 50 Zuhörer waren ins Humbacher Feuerwehrhaus gekommen, die Spannung im Saal war fast mit Händen zu greifen. Bürgermeisterin Leni Gröbmaier (BLD), betonte, wie sehr die acht Gemeinderäte ihre Entscheidung bedauerten. "Ich bin sicher, dass der letzte Beschluss, der viele Gefühle verletzt hat, jetzt mit dem gebotenen Respekt behandelt wird."

Barbara Regul (CSU) verlas eine Erklärung im Namen der acht Gemeinderäte. Sie seien der Meinung gewesen, dass die Ehrung mit dem Tod erloschen sei, sagte Regul. "Die damalige Verleihung der Ehrenbürgerwürde an diese Personen ist aber auch ein Teil der Dietramszeller Geschichte, zu dem man stehen muss und den man nicht verdrängen darf." Regul stellte klar, dass kein Gemeinderat je die Absicht gehabt habe, die ungeheuerlichen Verbrechen während der Nazizeit zu leugnen oder gar die Ehrenbürgerwürde gutzuheißen.

Eine Ehrerbietung an Hitler und andere Nazi-Politiker sei nicht mit dem heutigen Wertesystem vereinbar. "Es war nie die Absicht, die Verbrechen eines Adolf Hitler zu verharmlosen. Wir haben aber unterschätzt, dass unser Abstimmungsverhalten so verstanden werden könnte." Man bedauere zutiefst, dass Dietramszell in der öffentlichen Meinung dadurch beschädigt worden sei. "Wir übernehmen dafür die Verantwortung und entschuldigen uns bei allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern."

Namentlich unterzeichnet war die Erklärung nicht. Waltraud Bauhof (parteifrei) forderte, dass sich alle acht Gemeinderäte öffentlich zu ihrem Votum bekennen sollten. "Ein anonymes Verhalten ist ein Verstecken hinter denen, die anders abgestimmt haben", sagte Bauhof. Gröbmaier unterband eine weitergehende Diskussion. "Wir sollten jetzt niemand an den Pranger stellen."

Dass die Gemeinderäte am Ende über eine Distanzierung hinausgingen und sich einstimmig für eine Aberkennung der Ehrenbürgerwürde aussprachen, dürfte auch auf die Stellungnahmen von Peter Probst und Amelie Fried zurückzuführen sein. Die beiden Dietramszeller Autoren, die sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus engagieren, hatten darum gebeten, im Gemeinderat sprechen zu dürfen. Auf den Antrag von Georg Häsch (CSU), man solle zuvor abstimmen ("Ich lasse mich doch nicht in eine Ecke stellen") ging Gröbmaier mit dem Hinweis auf demokratische Spielregeln nicht ein.

Probst, der auch Mitglied im Tölzer Hindenburg-Arbeitskreis ist, sagte, es sei richtig, dass man die Geschichte nicht ausradieren solle. "Aber man kann und muss eine Haltung zu ihr entwickeln." Dass die Ehrenbürgerwürde mit dem Tod erlösche, habe viele Gemeinden nicht daran gehindert, sie "toten Nazigrößen" abzuerkennen. Man habe so ein klares Zeichen gegen Sympathien mit braunem Gedankengut gesetzt. Aus seinen Recherchen wisse er, dass Rechtsextremisten einen neuen Wallfahrtsort suchten. "Soll dieser Mob seine widerlichen 'Heldengedenken' künftig bei uns abhalten?" Probst forderte die Gemeinde auf, die Hindenburg-Büste am Kloster in ein Museum zu stellen oder mit einer kritischen Kommentierung zu versehen. Seine Rede wurde wie die seiner Frau mit Applaus bedacht.

Amelie Fried schilderte in bewegenden Worten ihre persönliche Geschichte: Mindestens neun Mitglieder ihrer jüdischen Familie seien den Nazis zum Opfer gefallen. "Für einige von Ihnen sind das Uraltgeschichten, für mich sind sie das nicht." Seit 22 Jahren wohne sie mit ihrer Familie in Dietramszell und fühle sich hier zu Hause. Nach den Berichten über die Abstimmung sei ihr erster Gedanke gewesen: "Hier will ich nicht mehr leben." Sie sei froh über die Erklärung von Regul, aber immer noch schockiert über den Beschluss von vergangener Woche. Es gehe jetzt nicht nur darum, den guten Ruf der Gemeinde wiederherzustellen. "Es geht um Ihre innere Überzeugung", mahnte Fried.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2013
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