Süddeutsche Zeitung

Demenz:Mehr Ambulanz, mehr Gespräche

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Bei der Alzheimer-Gesellschaft berichtet der Wolfratshauser Chefarzt Stefan Schmidbauer über das schwierige Thema Demenz im Krankenhaus

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Die "Woche der Demenz", vor drei Jahren deutschlandweit initiiert, soll auf die Krankheit aufmerksam machen und für den Umgang mit Betroffenen sensibilisieren. Im vergangenen Jahr gab es in den Tagen rund um den Weltalzheimertag am 21. September circa 600 Veranstaltungen in Bayern. Dieses Jahr hat die Corona-Pandemie das Angebot stark eingeschränkt, auch in Wolfratshausen. Den ursprünglich geplanten Filmabend mit Podiumsdiskussion am vergangenen Freitag musste die Alzheimer-Gesellschaft Isar-Loisachtal absagen. Stattdessen fand ein moderiertes Pressegespräch statt: Im Clubraum der AWO-Wohnanlagen sprach Stefan Schmidbauer, Chefarzt für Chirurgie der Kreisklinik, über das schwierige Thema "Demenz im Krankenhaus".

Dass Demenz kein Randthema ist, stellte zuvor Dieter Käufer klar. In Bayern gebe es derzeit etwa 240 000 offiziell gemeldete Demenzkranke, erklärte der Vorsitzende der Alzheimer-Gesellschaft und langjährige Leiter des AWO-Demenzzentrums, der den Dialog mit Schmidbauer führte. Im Landkreis müsse es demnach circa 2400 bis 2800 Betroffene geben. Allerdings sei die Zahl statistisch schwer zu erfassen, da sie nur bei erfolgter Diagnose von den Krankenkassen gemeldet werde. Von einer hohen Dunkelziffer sei daher auszugehen. Demenz betreffe also sehr viele - nicht nur die Kranken und Angehörigen, sondern alle regionalen Einrichtungen.

Krankenhäuser stellen demente Patienten vor große Herausforderungen: Sie sind in der fremden Umgebung meist desorientiert, verstehen nicht, warum sie behandelt werden, und können kaum Auskunft über ihre Beschwerden geben. Zudem leisten sie oft Widerstand gegenüber dem Pflegepersonal und versuchen nicht selten, die Klinik zu verlassen. Deshalb brauchen sie eine besonders intensive Betreuung, die auch Angehörige miteinbezieht. Schmidtbauer hatte das bereits 2011 dazu bewogen, besondere Wege an der Klinik zu gehen. Dort gibt es eine "lokale Allianz für Menschen mit Demenz", Pflegekräfte und Ärzte werden zu Mentoren weitergebildet, ein Team aus geschulten Laien unterstützt sie als Demenzbetreuer. Auch gibt es zwei eigens für demente Patienten eingerichtete Zimmer, mit "Wiedererkennungswert und Betätigungsmöglichkeiten", wie Schmidbauer erklärte. "Sie sind für uns ein Gewinn, aber wir könnten mehr gebrauchen."

Das größte Problem sei indes die Auslastung der Pflege. Das sei mit der Corona-Pandemie besonders deutlich geworden. "Die Erfahrungen aus der Corona-Zeit waren teilweise bedrückend", sagte Schmidtbauer: Oft sei ein zeitgerechtes Zurückverlegen der Patienten nicht möglich gewesen, Angehörige, die sich an die strengen Besuchsregeln halten mussten, hätten sich teils nicht ausreichend informiert gefühlt. "Wir haben trotz aller Bemühungen auch Kommunikationsfehler begangen", erklärte der Arzt. Der Redebedarf sei bei Demenz hoch. "Wir hätten gerne mehr Zeit für Gespräche", sagte Schmidbauer. "Aber das Thema zieht sich durchs ganze Krankenhauswesen: dass wir für das, was wir mit Empathie machen wollen, zu wenige sind."

Käufer und Schmidbauer sprachen auch über das sogenannte Delir: Patienten, die zu Hause noch unauffällig waren, zeigen im Krankenhaus insbesondere nach Narkosen Verwirrungszustände. Die Symptome seien zwar erfreulicherweise mehrheitlich reversibel, besserten sich also nach dem Klinikaufenthalt, erklärte der Arzt. Allerdings nicht immer. Das Wichtigste aber sei, bei Demenzpatienten den stationären Aufenthalt so kurz wie möglich zu halten und alles, was möglich sei, ambulant zu machen. "Da haben wir noch Verbesserungspotenzial. Das ist sicher eine Aufgabe für die nächsten Jahre."

Eine große Aufgabe hat sich auch die Sozial- und Familienreferentin des Stadtrats, Gerlinde Berchtold (SPD), gesetzt, die ebenfalls am Gespräch teilnahm. Sie will mit der Alzheimer-Gesellschaft Wolfratshausen zu einer "demenzsensiblen Stadt" machen. In Schulungen sollen Polizisten, Feuerwehrleute, aber auch Gewerbetreibende und Bürger lernen, wie man am besten mit Demenzkranken umgeht. Denkbar sei, ein gemeinsames Format für jährliche Schulungen des Pflegepersonals zu entwickeln, sagte Schmidbauer. Interessant sei das Projekt auch als "Schnittstelle mit den Angehörigen".

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SZ vom 29.09.2020
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