Süddeutsche Zeitung

Mitten in Bad Tölz:Stürmische Wahlkampfzeiten

Lesezeit: 2 min

Eigentlich sind Stürme ja unpolitisch. Aber nicht in diesen Zeiten, wo -schwupps- die Kandidaten auf ihren Wahlplakaten nun mit der Nase nach unten liegen. Das ist äußerst bedauerlich - aus gleich mehreren Gründen.

Von Klaus Schieder

So ein Sturm ist ja von seiner Natur her eher unpolitisch. Wenn er übers Land fährt, dürfte es ihm ziemlich einerlei sein, ob unter dem Bierzelt, das er hochflattern lässt, gerade Ministerpräsident Markus Söder am Mikrofon steht und zum 124. Mal erklärt, dass er nicht Kanzlerkandidat werden will. Oder ob er die Offshore-Windräder im hohen Norden regelrecht zum Rotieren und Anton Hofreiter, Grünen-Fraktionschef im Bundestag, damit im Fernsehinterview einmal mehr zu Schnappatmung bringt, diesmal vor Begeisterung.

Oder ob er irgendwo im Osten eine Neonazi-Horde durcheinanderwirbelt, die gerade mit ausgestrecktem Arm vor Björn Höcke strammsteht. Da würde man sich wünschen, dass so ein Sturm vielleicht doch mal politisch wird, die Meute hochhebt, zum Walchensee verfrachtet und in 190 Metern Tiefe entsorgt, ungefähr dort, wo das Nazi-Gold liegt. Oder auch nicht, falls man der Lügenpresse glaubt.

In Bad Tölz blieb "Sabine" zahm, so als Sturm, aber nicht ganz unpolitisch. Sie hat es zumindest geschafft, dass die langen Ständer für die Wahlwerbung der Parteien in der Fußgängerzone vorsichtshalber zusammengeklappt wurden. Da liegen nun all die Bürgermeister und Landräte in spe vor dem zugedeckten Marienbrunnen - mit der Nase nach unten. Das ist bedauerlich. Dabei war es doch erhebend zu sehen, wie Ingo Mehner als Bürgermeisterkandidat der CSU so herzlich die Arme öffnet, ein fast schon windiges ... , pardon, stürmisches "Ich-tu-alles-für dich"-Versprechen.

Da war Franz Mayer-Schwendner als Bürgermeisterkandidat der Grünen, der so symbolträchtig den rechten Ärmel vor einer Alpenkulisse aufkrempelt, als wolle er gleich eine Solaranlage bauen oder wenigstens zum Blumenpflücken auf die Alm gehen. Da ist Michael Lindmair als Bürgermeisterkandidat der Freien Wähler, der auf alle Symbolik verzichtet und ein Passfoto ... immerhin eines mit nettem Schwiegersohnlächeln ... , nun gut. Und da ist Michael Ernst als Bürgermeisterkandidat der SPD, der so beglückt in die Kamera schaut, weil man als Sozi in Tölz sowieso nichts zu verlieren hat.

Es wäre zu wünschen, dass die Plakatständer in der Fußgängerzone bald wieder in Reih und Glied gebracht werden. Schließlich sagen die Bilder der Bewerber mehr als 1000 Slogans, und jeder Slogan mehr als 1000 Worte. Leider ist durch den momentanen Jetstream nicht ganz auszuschließen, dass noch so eine "Chiara" oder "Elsa" oder "Melusine" daher fegt und in ihrem ignoranten Furor alle Wahlplakate wegträgt. Aber bitte nicht in den Walchensee. Da liegt eh schon genug Zeugs herum.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2020
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