Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Leicht und luftig

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Christina von Bitter hat ihren Traum vom Fliegen in Skulpturen aus Draht und Papier verwirklicht. Zusammen mit der Künstlerin Judith Grassl stellt sie ihre Werke im Starnberger Bahnhof aus

Von Katja Sebald, Starnberg

Generationen von Wissenschaftlern, Forschern, Dichtern und Träumern haben sich am großen Menschheitstraum vom Fliegen abgearbeitet. Dass es auch anders, ganz leicht geht, zeigt die Künstlerin Christina von Bitter derzeit in der ehemaligen Schalterhalle des historischen Bahnhofs am See in Starnberg: Man spanne einige "Luftlinien" quer durch den Raum, besteige einen Zeppelin-Wagen, eine Schirm-Kutsche oder ein Kleid-Fahrrad - und schon geht es los. "Luftlinien" - so lautet der Titel der aktuellen Ausstellung von Christina von Bitter und Judith Grassl im Rahmen der Reihe "nah - fern".

Von Bitter, geboren 1965 in Erlangen, kann in ihrer Vita ein Praktikum im Tarot-Garten von Niki de Saint Phalle auflisten und ein Studium der Bildhauerei bei Lothar Fischer, dessen Meisterschülerin sie war. Es ist also kein Wunder, dass Bitter selbst Kunstwerke von bezaubernder Poesie und dabei von großer formaler Schlüssigkeit zu schaffen weiß. Die Starnberger Ausstellung hat sie nicht nur mit einer Reihe von merkwürdig-schönen Fluggeräten bestückt, sondern auch mit einem im Koffer für Flugreisende und einer Vielzahl von kleinen Objektkästen, in denen jeweils ein Schwarz-Weiß-Foto zusammen mit einer Miniaturskulptur aus Draht und weiß bestrichenem Papier eine melancholische Geschichte erzählt: Das Pferd in der Badewanne träumt von einem neuen Bikini und die flotten Bergsteigerinnen werden wohl gleich das Flugkleid überstreifen und den Heimweg auf der "Luftlinie" zurücklegen. Aus Draht und Papier formt die Bildhauerin auch die großen Skulpturen, die aussehen, als hätte ein Kind sie mit krakeligem Strich in den Raum gemalt: Sie sind ein bisschen Behausung und ein bisschen Bekleidung, meistens aber auch Fortbewegungsmittel. Nüchternen Zeitgenossen mögen sie sinnlos erscheinen oder gar fluguntauglich. Und doch sind sie verwirrend heiter, anrührend filigran, tröstlich und erzählerisch, ganz ohne Worte.

Generationen von Kunsthistorikern und anderen Deutungsbeflissenen hingegen haben sich an Caspar David Friedrich, dem großen Maler der Romantik, abgearbeitet. Die Kunststudentin Judith Grassl, Jahrgang 1985, hat ihn noch einmal ganz neu entdeckt: "Das große Gehege" nach dem berühmten Dresdener Bild von Caspar David Friedrich hat sie eine Serie von Gemälden und Collagen genannt, die sie Anfang des Jahres als Diplomarbeit an der Akademie der Bildenden Künste in München zeigte und jetzt noch einmal in Starnberg ausstellt. Ausgehend von der Tatsache, dass es sich bei den Landschaften von Caspar David Friedrich um Konstruktionsbilder handelt, die er aus - oftmals in Skizzen festgehaltenen - Versatzstücken komponierte, fertigt sie zunächst kleinformatige Collagen aus Fotografien und verschiedenartigen Papieren, die sich überlagern und Durchblicke freigeben. In einem zweiten Schritt entstehen großformatige Gemälde in Acryl auf Leinwand, in denen sie, so scheint es zumindest, die vorher gefundenen Bildlösungen überträgt: So fügt auch sie "Versatzstücke", allerdings sind es bei ihr abstrakte und unterschiedlich gestaltete Bildflächen, so zusammen, dass sich der Eindruck einer bühnenartig gestaffelten Landschaft ergibt.

Nah - Fern, Christina von Bitter und Judith Grassl, Luftlinien, Ausstellung 17.6. bis 10.7.2016

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Quelle:
SZ vom 21.06.2016
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