Architektur in Kochel:Kühne Formensprache am See
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Das einstige "Ferienheim" direkt am Kochelsee wurde 1930 von Emil Freymuth entworfen und gilt bis heute als Zeugnis alpenländischer Moderne. Nach einer wechselvollen Geschichte liegt es seit einem Jahrzehnt im Dornröschenschlaf. Doch es könnte unter Denkmalschutz gestellt werden
Von Kaija Voss, Kochel am See
Wenn die Sonnenstrahlen den Nebel über dem Kochelsee vertreiben, öffnet sich der Blick auf die Berge. Ein Frühlingsausflug nach Kochel am See, das wissen inzwischen viele, vielleicht sogar zu viele Menschen, lohnt aus vielen Gründen, sei es wegen der Landschaft mit dem Herzogstand, wegen des Franz Marc Museums, das gerade mit seiner Ausstellung "Franz Marc. Die Skulpturen" lockt, oder sei es wegen der architektonischen Vielfalt des Ortes. Diese nämlich ist beeindruckend und reicht vom Schusterhäusl über das Walchenseekraftwerk und Verstärkeramt bis hin zum ehemaligen "Ferienheim für Arbeiter, Beamte und Angestellte von Staat und Gemeinden".
Die einstige Urlaubsanlage steht auf dem heute als Verdi-Grundstück bezeichneten Seeufer-Areal. Entworfen wurde es 1930 vom Architekten Emil Freymuth in einer kühnen Formensprache. Begonnen hatte alles damit, dass der Hotelier Karl Brackenhofer 1927 sein Strandcafé am Ufer des Kochelsees an die Ferienheim GmbH verkaufte, welche in ganz Deutschland Erholungsstätten baute, nachzulesen in Helmut Renners Buch "Die Gebirgsmotorsportschule am Kochelsee 1933 bis 1945 - und die Eigentumsverhältnisse um den Aspensteinbichl vor 1933 und nach 1945". Architekt Freymuth musste zunächst Platz schaffen am schmalen Seeufer, das direkt in den Berghang übergeht. Im April 1931 wurde das Ferienheim in der Architekturzeitschrift "Baumeister" vorgestellt, eine wichtige Notiz war: "Die Baukosten sind trotz der erforderlichen Felssprengungen niedrig geblieben".
Doch nicht nur um die Kosten ging es, sondern auch um die Lage des Hauses und den Seeblick: "Für den notwendig werdenden Neubau wurde der schönste Punkt des Kochelsees gegenüber dem Wasserschloss des Walchenseekraftwerkes gewählt. Aus einem engeren Wettbewerb ging Architekt Emil Freymuth als Sieger hervor. In seinem ersten Entwurf waren alle Zimmer mit für sich abgeschlossener Laube gleichwertig nach Süden mit Blick auf den See und den Herzogstand vorgesehen. Im Neubau sollten 41 Zimmer mit 76 Betten entstehen, dazu unter anderem ein Gemeinschaftsraum mit Ausblick, versenkbaren Schiebefenstern, einer vorgelagerten Liegeterrasse, einem Lese- und Schreibraum und diversen Nebenräumen.
Von der Liegeterrasse ist heute nur noch wenig zu erkennen, außer, dass sie sich einst in der Mitte des Gebäudes befand. Die vormals in den Boden versenkbaren Schiebefenster sind inzwischen Standard-Fenstern, die nicht einmal bis zum Boden reichen, gewichen. Auch von den großzügigen vier Eckbalkonen, die noch auf historischen Aufnahmen zu sehen sind, fehlt jede Spur.
Noch immer faszinierend hingegen ist die Dynamik des Gebäudes, der Schwung, mit dem sich der moderne Bau an den Hang schmiegt. Die Fassade folgt der Topografie, das Pultdach mit leichter Dachneigung ist fast schon ein Flachdach. Eine Melange aus Tradition und Moderne. Alpenländische Elemente wie hölzerne Fensterläden werden geschickt eingesetzt: Sind sie geöffnet, verbinden sich Fenster und Läden zu horizontalen Streifen. Sie erinnern so an die langen Fensterbänder der Moderne, die sich von den traditionellen Fassaden mit Einzelfenstern abheben wollen. Sie wollen Geschwindigkeit suggerieren, lassen an fahrende Züge oder Schiffe denken. Nachts werden die Läden geschlossen, die Architektur erhält die Einzelfenster zurück, das Haus oberhalb des Kochelsees kommt zur Ruhe. Die virtuose Anpassung des modernen Haues an eine ländliche Umgebung erinnert an Bauten des bekannten österreichischen Architekten Lois Welzenbacher. Das einstige Ferienheim ist ein Zeugnis alpenländischer Moderne.
Das hat inzwischen dazu geführt, dass dem Bayerischen Landesdenkmalamt Hinweise auf die mögliche Denkmaleigenschaft des Hauses vorliegen. Auch andere Häuser des Architekten Freymuth stehen bereits unter Schutz, wie seine von 1952 bis 55 in München-Obersendling entworfene Siemenssiedlung, eine der ersten modernen Hochhaus-Wohnsiedlungen in Süddeutschland. Ebenso denkmalgeschützt ist seine etwa zeitgleich entstandene Kongresshalle am Messegelände auf der Münchner Theresienhöhe.
Die Geschichte des Kochler Ferienheims verlief anders als geplant: Statt des Ferienglücks mit See und Bergblick folgte ein düsteres Kapitel als Motorsportschule während des Nationalsozialismus. Auf einem fetten Schriftzug in Frakturschrift an der Fassade konnte es jeder lesen: "Gebirgsmotorsportschule General Ritter von Epp".
Die bewusste Umwidmung von Erholungsheimen, Schulen oder Gewerkschaftsbauten zu Einrichtungen der NSDAP wurde oft praktiziert, um die Stätten der Moderne in ihrer Bedeutung zunichte zu machen. So wurde auch das berühmte Dessauer Bauhausgebäude, erbaut 1926, zur so genannten "Gauführerschule" der NSDAP. Die Bundesgewerkschaftsschule Bernau, 1930 unter Leitung von Hannes Meyer, dem zweiten Bauhausdirektor erbaut, wurde von Mai 1933 an zur Reichsführerschule der NSDAP und der Deutschen Arbeitsfront. Später wurden SS-, SD- und Gestapoangehörige hier ideologisch und wehrsportlich geschult.
Auch in Kochel ging es nur scheinbar um den reinen Motorsport, wie es unter anderem der Geschichtsforscher Renner in seinem Buch darlegt. Hintergrund des groß angelegten "Motorisierungsprogramms" war ihm zufolge die Ausbildung von Fahrern, die bereit zum Einsatz in den motorisierten Truppenteilen des Militärs waren. Insgesamt gab es 27 Motorsportschulen, 1934 wurde das "Nationalsozialistische Kraftfahrkorps" zur dritten Kampfeinheit der NSDAP neben SA und SS. Die Aufgaben der Schüler reichten von propagandistischen Paradefahrten und Transporten über judenfeindliche Ausschreitungen, unter anderem in der Reichspogromnacht 1938, bis hin zur aktiven Kriegsteilnahme. Die Schulen nutzten die Begeisterung vieler Jugendlicher für Autorennsport und Technik, um sie für ihre militärischen Zwecke zu gewinnen. Am nahe gelegenen Kesselberg fanden die gefährlichen "Kesselbergrennen" statt, Unfälle wurden beschönigt. Ein zweifelhaftes Ideal von "deutschen Fahrern auf deutschen Fahrzeugen" entstand, dass die Reichsautobahnen als "Straßen in die großdeutsche Zukunft" bezeichnete. Im Mai 1945 wurde Kochel von den Amerikanern eingenommen.
Das einstige "Ferienheim" schläft allerdings seit gut zehn Jahren einen Dornröschenschlaf. Dabei hatte seine wechselvolle Geschichte einst so positiv begonnen, als Vorzeigeobjekt der weißen Moderne am Alpenrand. Heute steht es steht leer und bröckelt langsam vor sich hin.