Süddeutsche Zeitung

Alfred Brendel:"Ich weiß, was Streichern möglich ist"

Lesezeit: 3 min

Der österreichische Star-Pianist gastiert am Samstag mit dem "Eliot Quartet" auf den Holzhauser Musiktagen. Im Interview erzählt er, warum die Arbeit mit Quartetten mittlerweile zu seinen schönsten Beschäftigungen gehört

Interview von Paul Schäufele, Münsing

Mit den letzten Quartetten Franz Schuberts und Felix Mendelssohn Bartholdys gastiert das Eliot Quartett bei den Holzhauser Musiktagen. Am Samstag, 17. Juli, spielt das international besetzte Quartett, witterungsbedingt in der Loth-Hof-Tenne in Münsing (Beginn: 19 Uhr). Kommentiert werden die dichten Werke dabei vom österreichischen Pianisten Alfred Brendel. Mit der SZ Bad Tölz-Wolfratshausen sprach der Virtuose vorab über den Reiz der Kammermusik, seine Vorstellung von Streicherklang und das Phänomen Schubert.

SZ: Herr Brendel, Sie sind dieses Jahr nicht zum ersten Mal bei den Holzhauser Musiktagen, und angesichts der derzeitigen Situation für Reisende ist es keine Selbstverständlichkeit, diesen Termin im deutschen Ausland wahrzunehmen. Was motiviert Sie dazu, dieses Jahr an diesem Konzert mitzuwirken?

Alfred Brendel: Ich freue mich darauf, das von mir bewunderte Eliot Quartett in Holzhausen vorzustellen. Der Abend steht an Beginn einer Reise, es gab viele Verpflichtungen, die der Pandemie zum Opfer gefallen sind - ich versuche nun als doppelt Geimpfter, einige davon nachzuholen.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Eliot Quartett?

Bei Kammermusik-Meisterkursen in Mainz hatte ich zum ersten Mal das große Vergnügen, mit diesem Quartett zu arbeiten. Der Kontakt ist über die Jahre hinweg nicht abgerissen. Ich freue mich darüber, dass dieses russisch-kanadisch-deutsche Konglomerat von Musikern mit dem englisch-amerikanischen Dichternamen sich in einer mit Quartetten dicht besiedelten Welt einen Namen gemacht hat.

Einer der Programmpunkte bei den Holzhauser Musiktagen wird ein Kommentar zu Franz Schuberts spätem G-Dur-Quartett sein. Sind Ihre Überlegungen zu Schubert auch ein Ergebnis der Zusammenarbeit mit den vier Musikern?

Die Arbeit mit Streichquartetten gibt mir den schönsten Stoff zum Nachdenken. Ich gehe weder vom Klavier noch von den Streichinstrumenten aus, sondern von der Musik. Ich war ja nie ein Pianist, der rein pianistisch dachte, für den der Klavierklang schon die Erfüllung gewesen wäre und nicht vielmehr der Ausgangspunkt für notwendige Verwandlungen - in das Timbre verschiedener Instrumente, in ein Orchester, in Gesang, in die Sphären.

Gilt das auch für den Komponisten?

Fast alle wichtigen Klavierkomponisten waren ja nicht Klavierspezialisten sondern auch, oder sogar in erster Linie, Schöpfer von Ensemblemusik und Vokalmusik. Orchestral gedachte Klavierstücke findet man nicht erst bei Liszt, sondern schon bei Bach, Mozart oder Schubert. Die Wanderer-Fantasie ist das pianistische Orchesterwerk par excellence geblieben.

Läuft die Kooperation mit dem Eliot Quartet als ein gemeinsames Nachdenken über Musik - und ergänzen sich dabei die pianistische und die streicherische Perspektive oder spielen die 'Herkunftsinstrumente' keine große Rolle?

Obwohl ich kein Streichinstrument spiele, war meine Vorstellung seit langem vom Streicherklang beherrscht. Ich weiß, wie Streicher klingen sollten und was Streichern möglich ist. Und ich habe an großen Dirigenten beobachtet, welche Tempomodifikationen einem Orchester zumutbar sind. Das Ensemble-Musizieren ist ja sehr stark auch eine rhythmische Angelegenheit. Insgesamt habe ich von den Beethoven-Aufführungen des Busch-Quartetts mehr über Beethovens Sonaten erfahren als von Pianisten. Seit ich mich vom Podium verabschiedet habe, gehört die Arbeit mit Streichquartetten zu meinen schönsten Beschäftigungen.

Dass Schuberts Klaviermusik heute viel gehört und erforscht wird, hängt zu einem guten Teil an Ihrer Initiative, diese Musik dem Publikum auch als Form-Diskussion nahezubringen ohne dabei zu vereinfachen. Warum verdient das G-Dur-Quartett eine solche analytisch vermittelnde - um nicht zu sagen: erklärende - Herangehensweise?

Wenn Sie vom Analytischem sprechen, so muss das durchaus nicht allein eine von Takt zu Takt fortschreitende Strukturanalyse sein. Der Charakter, die Seelenlage, die expressive Seite der Musik ist nicht weniger wichtig; sie kann für den Interpreten ausschlaggebend sein und wird den Hörer leichter erreichen. In manchen Stücken gibt es besondere Merkmale - Dieter Schnebel nannte sie "den geheimen Stoff des ganzen Werkes". Ich finde in Schuberts G-Dur-Quartett zwei davon und werde in meinem Vortrag über sie sprechen. Sie sind Klammern, die ein Werk zusammenhalten. Dieses Quartett ist ja unter Schuberts später Kammermusik das schwierigste geblieben, für moderne Ohren allerdings wesentlich leichter zu erfassen als noch für Joseph Joachim, den großen Geiger und Primarius des wichtigsten Quartetts im 19. Jahrhundert.

Mit Blick auf die großen Dimensionen dieses Werks, die in jedem Satz spürbare Neigung zur Expansion: Ist das noch Kammermusik?

Ja, es ist noch Kammermusik: Vier solistische Spieler spielen miteinander oder auch gegeneinander. Seit die Symphonien Mahlers und Bruckners international aufgeführt werden, ist uns auch Schuberts Expansionsdrang verständlicher geworden.

Inwiefern?

Schubert brauchte solche Dimensionen, das Ausufernde, Entgrenzte. Man sollte allerdings seine Wiederholungszeichen nicht immer befolgen. Das G-Dur-Quartett wurde erst 1850 uraufgeführt. Gewöhnungsbedürftig blieben nicht nur die Dimensionen, sondern auch die Gefühlsweite, die Extreme des Ausdrucks. Das großartige Stück ist innig und fieberhaft, depressiv und aggressiv, lyrisch und geradezu expressionistisch, verspielt und erbarmungslos.

Von einem Altersstil lässt sich bei Franz Schubert je kaum sprechen. Aber wir als Hörer ändern uns. Nehmen Sie Schubert heute anders wahr als vor vierzig Jahren?

Wenn wir bei Schubert von Spätstil sprechen, meinen wir die Werke, die gegen Ende seiner kurzen Lebenszeit entstanden sind. Ja, die Schubert-Rezeption hat sich gewandelt. Viele seiner Instrumentalwerke wurden ja nur langsam bekannt. Vorurteile wurden abgebaut: Schubert ist nicht mehr der "Walzerkomponist", das "Schwammerl" oder Richard Tauber im "Dreimäderlhaus" sondern, für manche von uns, einer der Begnadetsten und Phänomenalsten.

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Quelle:
SZ vom 17.07.2021
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