Süddeutsche Zeitung

Wohnungsnot in München:Jung, alleinerziehend - und chancenlos

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Das Beispiel von Lisa E. zeigt: Alleinerziehende gehören nicht nur zu den Ärmsten in München. Für sie ist es fast unmöglich, eine Wohnung zu finden.

Von Inga Rahmsdorf, München

Zwei kleine Kinder, alleinerziehend und noch in der Ausbildung - das sind keine guten Voraussetzungen, mit denen man bei Vermietern punkten kann. Das hat auch Lisa E. erfahren. Die Münchnerin macht eine Lehre als Bürokauffrau, ihre Kinder sind zwei und vier Jahre alt. Bis vor einer Woche lebte sie in einer Wohnung einer Jugendhilfeeinrichtung. Da Lisa E. aber diesen Monat 21 Jahre alt wird, endet für sie die Jugendhilfe. Seit Monaten sucht sie deswegen verzweifelt nach einer kleinen Wohnung für sich und ihre Kinder. Bisher ohne Erfolg. Meist wurde sie noch nicht einmal zu Wohnungsbesichtigungen eingeladen, berichtet sie. Und wenn sie eine Wohnung besichtigte und sich bewarb, erhielt sie nie eine Rückmeldung.

"Wohnungslosigkeit ist eine extreme und sichtbare Form der Armut", heißt es in dem aktuellen Armutsbericht der Stadt München von 2017. Lisa E. gehört in München gleich zwei Gruppen an, die laut dem Bericht besonders von Armut betroffen sind: Alleinerziehende sowie junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahre. In dieser Altersgruppe leben 43 Prozent unter der Münchner Armutsschwelle. Ein Fünftel aller Familien in München sind Haushalte mit nur einem Elternteil, meist sind es Mütter. Von den Alleinerziehenden bezieht mehr als jeder Vierte Hartz-IV-Leistungen, und 40 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze.

Durch ihre Situation zählt Lisa E. auch zu denjenigen, die bei der Vermittlung einer Sozialwohnung mit höchster Dringlichkeit eingestuft werden. Doch das bedeutet in München trotzdem nicht, dass es auch schnell geht. Derzeit warten fast 17 500 Haushalte in der Stadt auf eine Sozialwohnung. Etwa 80 Prozent von ihnen sind in einer so prekären Situation wie Lisa E., dass sie mit höchster Dringlichkeit Anspruch auf eine Sozialwohnung haben. Doch diesen 13 600 als dringlich registrierten Haushalten stehen nur 3830 Sozialwohnungen gegenüber, die die Stadt im Jahr 2017 vergeben konnte.

Als Lisa E. vergangene Woche ihre bisherige Wohnung verlassen musste, hat sie sich beim städtischen Wohnungsamt wohnungslos gemeldet. Dort wurden ihr und den Kindern auch umgehend ein Zimmer in einer städtischen Unterkunft für Wohnungslose zugewiesen. Ein Raum mit Stockbett, einem dritten Bett, einer Kochnische und kleinem Bad. Nach Auskunft des Sozialreferats arbeiten in der Einrichtung auch ein Erzieher und ein Sozialpädagoge.

In München sind etwa 9000 Menschen wie Lisa E. wohnungslos. Wer kein Dach über dem Kopf hat und sich beim Wohnungsamt meldet, wird in Pensionen, Clearinghäusern, städtischen oder privaten Notunterkünften untergebracht. Derzeit wohnen in dem Sofortunterbringungsprogramm knapp 400 junge Menschen zwischen 18 und 27 Jahren. Es gibt darunter auch zwei Einrichtungen mit insgesamt 74 Plätzen, die sich speziell an Alleinerziehende mit Kindern richten. Dort hat Lisa E. aber keinen Platz erhalten.

Die 21-Jährige macht ihre Ausbildung zur Bürokauffrau im zweiten Lehrjahr bei einem Kinderschutz-Verein. Ihre Kolleginnen haben eine Kampagne gestartet, um die junge Mutter bei der Wohnungssuche zu unterstützen. "Lisa ist sehr zuverlässig, sie ist eine geschätzte und intelligente Kollegin, die ihre Ausbildung toll macht. Und dann sorgt sie auch noch so gut für ihre Kinder", sagt Christine Rudolf-Jilg, eine der Geschäftsführerinnen des Vereins. Lisa E. sei eine sehr tapfere Frau, trotzdem sei die Situation derzeit extrem belastend für sie. "Es ist eigentlich unglaublich, wie sie das alles mit zwei kleinen Kindern so gut stemmt", sagt Rudolf-Jilg.

Deswegen haben die Kolleginnen auch einen Aufruf im Internet gestartet, unter dem Motto "Freundeskreis Lisa" suchen sie eine Wohnung und bitten um Spenden. Das Jobcenter übernehme eine Miete von maximal 1000 Euro warm, so Rudolf-Jilg. Aber um beispielsweise ihre Kisten und Möbel einzulagern, müsste Lisa E. Geld vorstrecken, das sie nicht habe. Zudem organisieren die Kolleginnen eine private Bürgschaft, damit Lisa E. sich überhaupt bei Wohnungen bewerben kann.

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SZ vom 12.03.2018
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