Süddeutsche Zeitung

Wohnen:Familie Máthé findet eine Wohnung in München - und kann ihr Glück nicht fassen

Lesezeit: 4 min

Von Anna Hoben

Endlich sind sie raus aus dem alten Zimmer. "Jetzt hör' ich Katinka nicht mehr schnarchen", sagt Klára, die Sechsjährige. "Es ist gut für die Psyche", sagt ihr Vater István Máthé, Erleichterung im Blick. Ungefähr so groß wie ihr neues Zimmer sei das alte Zimmer gewesen, sagt Klára. Das alte Zimmer in der Pension, in dem sie zusammen gelebt haben, die ganze vierköpfige Familie, Mutter Katalin, Vater István, die zwei Töchter Katinka, neun, und Klára. Ungefähr 14 Quadratmeter. Zwei Stockbetten in Reihe, ein kleiner Tisch, ein Kühlschrank, zwei Stühle, eine Palme - mehr passte nicht hinein.

Das alte Zimmer war mehr als eine Übergangslösung, zwei Jahre lang war es ihr Zuhause. Zwei Jahre, in denen sie sich Bad und Gemeinschaftsküche mit den Nachbarn teilen mussten. Zwei Jahre ohne Privatsphäre, zwei Jahre, in denen sie fast immer schlecht geschlafen haben. Dazu kam eine Krebserkrankung des Vaters. 2280 Euro hatte das Jobcenter jeden Monat für das Zimmerchen überwiesen.

Dass sie jetzt eine richtige Wohnung haben, das haben sie einem Mann zu verdanken, der lieber nicht auftauchen will in dieser Geschichte. Er hat die Wohnung an die Stiftung Biss vermietet. Die vermietet sie weiter an die Familie Máthé, der Vater arbeitet als Verkäufer der Obdachlosenzeitschrift Biss.

Im Frühjahr hatte der Vermieter sich die Wohnung gekauft, er hatte Geld übrig, das er in eine Immobilie investieren wollte. Er wollte aber noch etwas anderes: Menschen unterstützen, die Unterstützung brauchen. Für ihn stellt sich die Sache ganz einfach dar: "Es ist wichtig, dass man würdig wohnen kann. Und dass Leute wie die Familie Máthé mit ihren zwei wunderbaren Kindern eine Chance haben."

Würdig gewohnt hatte die Familie in den vergangenen Jahren nicht. Und eine Chance hätte sie auf dem Münchner Irrsinns-Wohnungsmarkt auch nicht gehabt. Der Vermieter hat sie ihnen gegeben. "Ich finde das nicht besonders", sagt er, und vielleicht ist genau dies das Besondere. Wenn alles passt, wird der Mietvertrag in zwei Jahren direkt auf die Familie übergehen, dann wird die Stiftung nicht mehr dazwischengeschaltet sein.

Die Máthés stammen aus Rumänien, dort waren sie Angehörige der ungarischen Minderheit. Sie kommen aus einem kleinen Dorf in der Nähe der Stadt Sfântu Gherghe. Der Vater István, 49, hatte es 2013 zunächst allein verlassen, um sein Glück in Deutschland zu probieren. Schuhmacher war er in Rumänien gewesen, diesen Beruf hatte man ihm einst zugewiesen im kommunistischen Staat, gemocht hatte er ihn nie besonders. Später war das Problem gewesen, überhaupt Arbeit zu finden. In Rumänien hatte er keine Zukunft mehr gesehen für seine Familie.

Das Glück in Deutschland suchen, das sah anfangs so aus, dass István Máthé ein Jahr lang auf Münchens Straßen lebte. Es gebe viele obdachlose Rumänen in der Stadt, sagt er. Máthé hörte sich um unter den Rumänen und Ungarn, die er traf, fragte nach Arbeit, wieder und wieder. 2014 fing er bei einer Zeitarbeitsfirma an, packte mal auf Baustellen mit an, mal in einer Bäckerei. Er holte seine Frau nach und die Mädchen, damals zwei und vier Jahre alt.

Sie zogen in eine Pension am Hauptbahnhof. Und irgendwann kam er zu Biss, jenem Verein, dessen Kürzel für "Bürger in sozialen Schwierigkeiten" steht. Er fing als Verkäufer an, und die Tätigkeit mache ihm mehr Spaß, als anderer Leute nicht immer angenehm riechende Schuhe zu reparieren, sagt er heute. Seit einem Jahr ist er fest angestellt, mit dem Ziel, monatlich 600 Exemplare des Magazins zu verkaufen.

Eine Dreiviertelstunde braucht er jeden Morgen für den Arbeitsweg von Pasing nach Unterhaching, das Schönste aber ist es, abends zurückzukommen. Zurück in die eigene Wohnung, mit der richtigen Küche, dem richtigen Bad, dem Schlafzimmer, den Kinderzimmern, dem Wohnzimmer.

Vor sechs Wochen sind sie eingezogen, der Vermieter hat beim Umzug geholfen, zweimal ist er mit einem VW-Bus hin- und hergefahren zwischen dem alten Zimmer und der neuen Wohnung. "Wir haben viele Sachen", hatte Klára angekündigt, und er hatte es nicht recht geglaubt, aber es sammeln sich dann eben doch ein paar Dinge an über die Jahre bei einer vierköpfigen Familie, selbst wenn sie in einem winzigen 14-Quadratmeter-Zimmer wohnt.

1100 Euro kalt bezahlt die Familie mit staatlicher Unterstützung für die Wohnung. Die Stiftung Biss hat mit ein paar Möbeln geholfen, der Vermieter hat eine Eckbank ins Wohnzimmer gestellt. Da, wo ein Sofa stehen könnte, stehen müsste, steht im Moment nichts, was zumindest Klára und Katinka nichts auszumachen scheint, weil sie mehr Platz zum Herumtollen haben. Sogar einen Balkon gibt es, zum Wäscheaufhängen und Hinausschauen in den Hinterhof, wo Klára und Katinka gern spielen, auch Freunde haben sie schon gefunden in der neuen Nachbarschaft.

Dass die Familie nun in Würde wohnt, ist für den Verein Biss ein guter Anfang. Seit einiger Zeit bemüht sich der Arbeitgeber, seine Verkäufer in geregelte Wohnverhältnisse zu bringen. Fünf Wohnungen besitzt die Biss-Stiftung, zudem hat sie Belegrechte für zehn Plätze in Genossenschaften. Aber Biss will auch weiter bei der Integration helfen. Katalin Máthé, die kaum Deutsch spricht, macht nun einen Sprachkurs, sie sucht einen Minijob als Putzkraft. Später möchte sie vielleicht eine Ausbildung machen. Die Kinder sollen eine ordentliche Schulbildung bekommen, die ihren Fähigkeiten entspricht. "Das wünsche auch ich mir", sagt der Vermieter.

Demnächst müssen sie in die Heimat fahren, um die Pässe der Mädchen zu verlängern. Aber sonst haben sie dort ihre Zelte abgebrochen. "Es gibt keinen Grund zurückzugehen", sagt István Máthé. Die Zukunft, sie liegt nun in München.

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Quelle:
SZ vom 01.08.2018
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