Süddeutsche Zeitung

Wittelsbacherplatz:Ein Kunstwerk für den Kurfürsten - und für Münchens Bedürftige

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Von Sven Loerzer

Schutzlos steht es auf dem weiten Wittelsbacherplatz, das Reiterstandbild von Kurfürst Maximilian I., aber nicht mehr lange: Das britische Künstlerduo Ivan Morison und Heather Peak von Studio Morison wird im Juni dort einen Pavillon errichten, der die Skulptur von allen Seiten umgibt. Initiator des Kunstwerks ist die Münchner Straßenzeitung Biss , die mit dem spektakulären Vorhaben ihr 25-jähriges Bestehen begeht.

Auf die Idee brachte die Biss-Macher ein studentisches Projekt der Fakultät für Gestaltung an der Hochschule Augsburg. Im Rahmen einer Semesteraufgabe sollten dort bereits im Jahr 2016 Vorschläge für ein Jubiläumsprojekt entwickelt werden. Der Gedanke, eine künstlerische Aktion im öffentlichen Raum zu starten, fiel bei Biss auf fruchtbaren Boden.

Bei einer der ersten Straßenzeitschriften der Bundesrepublik sind 51 von rund 100 Verkäufern fest angestellt - Menschen, die sonst kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, erhalten so die Möglichkeit, wieder Fuß zu fassen im Leben. "Unsere Verkäufer stehen immer in der Öffentlichkeit, wenn sie verkaufen", schreibt Geschäftsführerin Karin Lohr in der Mai-Ausgabe des Blatts. "Es ist für sie an ihren Standplätzen enorm wichtig, dass sie die Zeitung gefahrlos anbieten können." Der Verkehr und die zunehmende kommerzielle Verwertung der Innenstadt erschweren es den Menschen immer mehr, einen Platz ohne Konsumzwang zu finden.

Für die Auswahl der Künstler gewann Biss Caroline Fuchs von der Neuen Sammlung als Kuratorin. Fünf Künstler schlug sie vor, nach eingehender Beratung fiel die Wahl auf Studio Morison, "weil die Künstler weltweit grandiose Aktionen machen und ihre Arbeiten, wie wir finden, Substanz und Esprit gleichermaßen haben", erläutert Lohr. "Die passen zu Biss, haben wir gedacht, und Kontakt aufgenommen." Dann ging alles sehr schnell. Heather Peak kam im November 2016 nach München. "Es war bitterkalt, als wir zusammen mit den Fahrrädern zu den Standplätzen der Verkäufer fuhren." Die Künstlerin sprach lange mit ihnen.

In seinem Testament dachte Maximilian I an die Armen

Für das gemeinsame Projekt suchte Ivan Morison nach einem geeigneten öffentlichen Platz. Biss favorisierte den Wittelsbacherplatz, schon wegen der zentralen Lage und der angenehmen Atmosphäre. Nicht zuletzt passte auch gut ein Zitat aus dem Testament von Maximilian I., der statt eines üppig inszenierten Begräbnisses die Armen bedacht wissen wollte: "Mein Madensack soll man nit lang ob der erden lassen, noch viel grandeza und ceremonien, sondern die spesen auf die armen verwenden und keinen pomp machen."

Unter dem Motto "I will be with you, whatever" entwickelte Studio Morison den Plan, das Denkmal zum größten Teil zu verhüllen, sodass es je nach Lichteinfall teils sichtbar und teils unsichtbar sein wird. Das englische Motto, sagt Lohr, sei eigentlich sogar ein Versprechen: "Es hat uns mitten ins Herz getroffen." Frei übersetzen könne man es mit: "Bis der Tod uns scheidet." Oder auch: "Durch dick und dünn."

Das Straßenmagazin will Menschen, "die aufgrund von Armut, Krankheit und im schlimmsten Fall sogar Obdachlosigkeit keinen Platz in der Gesellschaft haben", beistehen und ihnen helfen, diese schwere Lebenskrise zu überwinden. "Das Motto soll den Betroffenen Mut machen und ihnen zeigen, dass es jemanden gibt, der zu ihnen steht und ihnen hilft." Erst auf den zweiten Blick erschließe sich, dass das Versprechen keine Einbahnstraße sei: "Denn die armen Menschen werden der Gesellschaft allein durch ihre Anwesenheit einen Spiegel vorhalten, der stets daran erinnert, dass eine gerechte Gesellschaft die Lebensgrundlage für alle Menschen schaffen muss."

Das Kunstwerk soll an die "Unsichtbaren" der Stadt erinnern

Das Kunstwerk spielt mit der Sichtbarkeit. "Erst durch den aufmerksamen Blick auf unsere Umwelt und den öffentlichen Raum können soziale Ungerechtigkeiten erkannt, thematisiert und angegangen werden", betont Lohr.Nach den Plänen von Studio Morison entstehen derzeit bei der Bauunternehmung Xaver Lutzenberger in Pfaffenhausen, die Biss von Anfang an unterstützt, 1400 Bauteile für das zwölf Tonnen schwere Kunstwerk, das dann vom 30. Juni bis Mitte Oktober zu sehen sein wird. Pläne und Genehmigungsanträge dafür füllen mehrere Aktenordner. Eine Vielzahl von Behörden war zu fragen, damit das Denkmal verhüllt werden kann. Vor einem Jahr ging es los, um alle nötigen Genehmigungen einzuholen.

Das Staatliche Bauamt musste eingeschaltet werden, denn das Denkmal gehört dem Freistaat Bayern. Die Landeshauptstadt ist für die Nutzung des Platzes zuständig. Die Kunstkommission musste tagen, um den "hohen künstlerischen Wert" zu bestätigen. Schließlich stellte sich auch noch heraus, dass es einer Baugenehmigung bedarf. Ein Architekt stellte den Antrag, die Anlieger, darunter Siemens, stimmten zu. Statiker mussten die Konstruktion überprüfen.

Aufgebaut wird die mit Kunststoff bespannte Stahl-Holz-Konstruktion vom 12. Juni an unmittelbar nach dem Hamburger Fischmarkt. Wenn das Kunstwerk steht, "wollen wir die Leute zusammenbringen auf dem Platz und sich friedlich begegnen lassen", sagt Lohr. "Wir setzen darauf, dass Kunst die Menschen anders berühren kann."

Das zweite Jubiläumsprojekt feiert beim Dokumentarfilmfestival am Samstag Premiere. Der Filmemacher Wolfgang Ettlich porträtierte vier Biss-Verkäufer und ihre Entwicklung über drei Jahre: "Biss und die Angst vor dem Fliegen".

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SZ vom 04.05.2018
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