Süddeutsche Zeitung

Wissenschaft:Im Auftrieb

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Tayyar Bayrakci von der Hochschule München hat in sechs Jahren ein Verfahren entwickelt, mit dem sich ohne Filter Schwebstoffe aus dem Wasser entfernen lassen. Es könnte vor allem armen Ländern zugutekommen

Von Ulrike Steinbacher

Für den Nichteingeweihten sieht das Herzstück von Tayyar Bayrakcis Erfindung aus wie eine merkwürdig geformte hellblaue Klobürste, die in einem geriffelten Rohr liegt. Seit sechs Jahren arbeitet Bayrakci - groß, schlaksig, Brille, erstes Grau im dunklen Haar - an einem Verfahren, mit dem sich Schwebstoffe, sprich Schmutz, aus Wasser entfernen lassen. Nach seinen Worten ist sein Gerät einfacher und billiger als eine Filteranlage, könnte also für Entwicklungsländer interessant sein, sei es bei der Meerwasserentsalzung oder beim Auffischen von Mikroplastik. Dennoch hat der 50-Jährige lange gebraucht, um Fachleute zu überzeugen, dass das, was er und sein Start-up im Strascheg Center für Entrepreneurship der Hochschule München entwickelt haben, funktionieren kann. Bayrakci fasst die Vorbehalte so zusammen: "Dieser Ansatz entspricht nicht dem Ingenieur-Denken."

Laienhaft ausgedrückt geht es um Folgendes: Zyklonabscheider, die dem Ingenieur-Denken entsprechen, arbeiten mit Zentrifugalkräften. Die Wirbelströmung, die die Stoffe voneinander trennt, drängt schwere Partikel nach außen und leichte nach innen - ein ehernes physikalisches Gesetz. Für Schwebstoffe, also alles, was ungefähr genauso schwer ist wie das Wasser, sind Zentrifuge oder Zyklon ungeeignet. Dafür setzt man Filter ein, wie sie auch in der Kaffeemaschine oder im Staubsauger zu finden sind. Filter allerdings können verstopfen, sie müssen gereinigt und irgendwann ausgewechselt werden, kurz: Filtersysteme in Industrieanlagen sind arbeitsintensiv und teuer.

Den Schwebstoffabscheider mit Zyklontechnologie, den er konstruiert hat, sieht Tayyar Bayrakci als günstige Alternative. Was Aufwand und Ertrag betrifft, sei das Verhältnis zum Filter so ähnlich wie das von Kraftwerk und Fotovoltaik: Das Kraftwerk brauche viel Energie für die Stromerzeugung und produziere viel ungenutzte Abwärme, die Fotovoltaik wandle bereits vorhandenes Sonnenlicht in elektrische Energie um. Ähnlich effizient und umweltfreundlich sei sein "CyFract", ein Zyklonabscheider mit der Wirkung eines Filters.

"Radikal neu" und damit im Widerspruch zum gängigen Ingenieur-Denken ist, dass Bayrakcis Verfahren nicht nur Zentrifugalkräfte nutzt, sondern in viel höherem Maße Fluidkräfte. Die Geometrie seines geriffelten Zyklonrohrs schafft Strömungsbedingungen ähnlich wie bei der Tragfläche eines Flugzeugs, Grundprinzip ist der Auftrieb. Daher ist der Zentrifugalkraft-Grundsatz "Schweres nach außen, Leichtes nach innen" außer Kraft gesetzt. Alles fliegt nach außen, egal, was es wiegt.

Das ist der Punkt, an dem Bayrakci bei Ingenieuren und Mechanikern stets Kopfschütteln erntete. Sie zogen das physikalische Prinzip in Zweifel, auf dem seine Methode beruht. "Für Fachleute klingt das komplett widersinnig", sagt er. "Das dreht die Vorstellungen um, die man hat", bekräftigt Martin Becker, Lehrbeauftragter an der Hochschule München und CAD-Fachmann im Start-up. "Warum sollten auch die leichten Teile nach außen fliegen?"

Aber im Dezember gelang es dem Team, den Effekt im Labor experimentell sichtbar zu machen. Das zugehörige Video ist bei Youtube eingestellt. Es zeigt einen wassergefüllten Zylinder mit roten Kügelchen, die schweben, und grünen Kügelchen, die am Boden liegen - leichte und schwere Partikel. Dann rotieren Wasser und Kugeln um die Mitte des Gefäßes, immer schneller, immer schneller, die Feststoffe - rote und grüne - steigen höher und höher, bis alles nach außen gedrängt wird. "Da ist kurz mal Stille, wenn das ein Physiker sieht", sagt Bayrakci. Er klingt zufrieden.

Auf diese Methode zur Partikelabscheidung kam er, als er 2013 seine Bachelor-Arbeit im Fachbereich regenerative Energien/Elektrotechnik schrieb. Thema: rotierende Strömungen in Rohren. Bei der Konstruktion des Zyklonrohrs mit seiner komplexen Innengeometrie kam ihm seine Berufserfahrung als Bootsbaumeister zugute. Ein Patent hat Bayrakci angemeldet, die Prüfung läuft noch. Wahrscheinlich werde aber kein Schutzrecht erteilt, weil die Methode nicht neu sei, sagt eine Sprecherin des Deutschen Patent- und Markenamts.

Inzwischen haben Bayrakci und sein sechsköpfiges Start-up-Team die Tüftel-Phase hinter sich gelassen und mit der Vermarktung des CyFract begonnen. Per Crowdfunding sammeln sie gerade Geld für einen Prototypen ein. Aus den bisher 8000 Euro sollen, wie sie hoffen, bis Anfang September noch 90 000 Euro werden, damit die Arbeit weitergehen kann. Sie brauchen Pumpen, Tanks und ein deutlich größeres Labor. "Wir müssen viel Wasser bewegen", sagt Bayrakci. Nach dem Vorbild des kleinen Laborversuchsträgers mit dem Zylinder voll Wasser und den Kugeln soll ein funktionierendes Gerät mit einem sechs Meter langen Zyklonrohr und einer Abscheidekammer entstehen. Mit Instrumenten und Messwerkzeugen untersuchen die Ingenieure dann, was der Prototyp tatsächlich leisten kann. Etwa 18 Monate soll dieser Arbeitsschritt dauern.

Danach ist es nicht mehr weit zum ersten Einsatz. Was das sein wird, ist völlig offen, Bayrakci sieht für CyFract viele Anwendungsmöglichkeiten: in der Abwasserbehandlung in Kläranlagen zum Beispiel, wo es deutlich weniger Platz beanspruchen würde als herkömmliche Vorklärbecken, oder zur Kühlwasseraufbereitung in der Papierindustrie, aber auch in Autowaschanlagen, die mit geschlossenen Wasserkreisläufen arbeiten und Schmutz ausfiltern müssen, oder zum Abscheiden von Mikroplastik. Tayyar Bayrakci selbst würde sein Verfahren am liebsten dort eingesetzt sehen, wo es Menschen in Entwicklungsländern nützt. Etwa in der Meerwasserentsalzung, konkret in der Vorreinigung dafür, also dort, wo Organismen und Schwebstoffe aus dem Wasser geholt werden. "Für mich ist das der größte Nutzen", sagt er.

Etwa 90 Millionen Kubikmeter Wasser werden pro Tag auf der Welt entsalzt. "Aber die Anlagen stehen halt in entwickelten Ländern", seufzt er. "Wo die Menschen das wirklich brauchen, können sie es sich nicht leisten." Die Technologie ist teuer: Ein Kubikmeter Entsalzungskapazität kostet laut Bayrakci etwa 1000 Euro. Für den Vorreinigungsprozess, in der Regel eine Kaskade von Filtern, kämen noch einmal bis zu 600 Euro dazu. Diese Vorreinigungskosten könne seine Methode auf 200 Euro drücken, sagt er. Damit würde der Preis für Entsalzung um bis zu 25 Prozent sinken.

Ob es so kommt oder ob das Gerät auf einem ganz anderen Gebiet eingesetzt wird, wird am Ende der Investor entscheiden, den das Start-up-Team finden will, um mit dem CyFract irgendwann Geld zu verdienen. Sechs Jahre lang hat sich Tayyar Bayrakci mit seinem Projekt von Finanzierungsantrag zu Finanzierungsantrag gehangelt. Jetzt hofft er auf einen Partner, der ebenfalls auf sauberes Wasser setzt. "Ich bin extrem idealismusgetrieben", sagt er. "Auch wenn in der Wirtschaft andere Spielregeln gelten."

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Quelle:
SZ vom 21.08.2019
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