Süddeutsche Zeitung

Winter-Tollwood:Tanzen gegen die Trägheit

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Das Winter-Tollwood macht sich für demokratische Werte stark. Der Cirque Eloize interpretiert das Motto "Wir, alle" artistisch.

Von Michael Zirnstein

Rita Rottenwallner, die Mutter Courage der Tollwood-Familie, hat den Münchner Umweltpreis zurückgegeben, weil Bürgermeister Josef Schmid mit seinen Plänen für das Essen auf Volksfesten die Biostadt München torpediere. Auf Tollwood dagegen druckt man Kassenbons heuer auf Bisphenol-A-freiem und damit gesünderem Papier.

Und beim Menü im Zirkuszelt kommen ausgewachsene "Bruderhähne" auf den Teller, die damit zumindest nicht wie in dieser perversen Welt üblich frisch geschlüpft geschreddert wurden, als nur ihre Schwesterhennen als lebenswert erachtet wurden für ein Dasein in der Eier-Produktion. Typisch Tollwood, mag man da sagen - und das spricht für das alternativ gesinnte Festival-Imperium.

Wer da allerdings bei Tollwood an eine Öko-Bauernhof-Kommune auf dem Land denkt, war wohl schon lange nicht mehr dort, im Sommer im Olympiapark und nun im Winter auf der Theresienwiese. Tollwood ist kein Ringelreihen für Aussteiger, sondern eine Plattform für jene, die sich einmischen. "Wir, alle" lautet das Motto in diesem Advent. In der Kunst am Platz wie einem Weihnachts-Baum mit 150 bunten Menschen-Anhängern, in Aktionen und Diskussionen geht es darum, die Gesellschaft zu gestalten: "Welche Stadt wollen wir sein?", fragen sich zum Beispiel Kammerspiele-Intendant Mathias Lilienthal, Stadtbaurätin Elisabeth Merk, die Biss-Chefredakteure und einige andere auf dem Podium im Weltsalon.

Und auch in dem - von der Süddeutschen Zeitung miteingerichteten - "Wohnzimmer der Demokratie" soll der Besucher nicht die Füße hochlegen, sondern sich Fragen zu den freiheitlichen Grundwerten gefallen lassen und seine Gedanken dazu aufschreiben. "Die Trägheit ist der schleichende Tod unserer Gesellschaft", sagt die Stephanie Weigel, Leiterin der Abteilung "Mensch und Umwelt".

Die Hauptproduktion dieses Winter ist demnach ein äußerst lebhaftes Symbol dafür, das Unmögliche möglich zu machen: Der Cirque Eloize aus Montreal, der in den vergangenen beiden Wintern mit "Cirkopolis" und "Saloon" äußerst erfolgreiche Gastspiele gab, zeigt die urbane Show "I.D.". Das steht nicht nur für Identität, sondern auch für alle Individuen, die miteinander gegen die Anonymität der Großstadt kämpfen - in diesem Fall tut dies eine multikulturelle Truppe mit artistischen Mitteln wie Skaten, Trampolinspringen, Breakdance, Ballett und Vertikaltuch-Luftnummern zu Hip-Hop-Poesie vor Hochhauskulissen.

Winter-Tollwood, Do., 23. Nov., bis So., 31. Dez., Markt bis 23. Dez., Mo-Fr. 14-1 Uhr, Sa/So. 11-1 Uhr, Theresienwiese, 0700/38385024

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Quelle:
SZ EXTRA vom 23.11.2017
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