Süddeutsche Zeitung

Anti-Musical:Bilanz eines Künstlerlebens

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Zum 40-Jährigen überrascht das Modern String Quartet mit einem fulminanten Warhol-Gesamtkunstwerk. Es ist etwas Neues - und ein großes Wagnis.

Von Oliver Hochkeppel

Das Neue hat an sich noch keine Qualität, nur weil es neu ist. Womit wir mitten in der Gedankenwelt von Andy Warhol wären, den die meisten nur als Pop-Art-Ikone, nicht als Theoretiker kennen. Adrian Prechtel, Kulturredakteur der AZ, Biograf, Rechtsanwalt und feuilletonistische Allzweckwaffe, hat sich die Mühe gemacht, Warhols oft aphoristische Ideen zum Verhältnis von Gesellschaft und Individuum, von Künstler und Person, von Kunst und Kapital zu sammeln. Und in fiktiven Gesprächen mit Lou Reed, Divine, Marilyn Monroe, dem Galeristen Henry Geldzahler und der Aktivistin und Attentäterin Valerie Solanas zu bündeln und über ein Zeit- und Personenporträt hinaus zu einem Beitrag für unsere Social-Media-Gesellschaft zu machen. All das in seinem Libretto für "Warhol - Ein Anti-Musical", das sich das Modern String Quartett zu seinem 40-jährigen Bestehen ausgedacht hat. Und so nicht zum ersten Mal ein Meisterwerk in die Welt gesetzt hat, diesmal ihr wohl umfassendstes.

"Anti-Musical" deshalb, weil nicht gesungen und getanzt wird und weil es keine Trennung zwischen Musik und Handlung gibt. Alles spielt hier ineinander. Die Musik ist stets präsent, nimmt sich in den Dialogen zur "Filmmusik" zurück, um sich dazwischen dramatisch in den Mittelpunkt zu spielen. Und wie von Winfried Zrenner (dem Hauptkomponisten), Joerg Widmoser, Andreas Höricht und Thomas Wollenweber gewohnt, fügen sich allerlei Stile und Zitate von Gershwins "The Man I Love" bis Lou Reeds "Walk On The Wild Side" zum unverwechselbaren Streichquartett-Sound des MSQ.

Das Stück ist in der Tat etwas Neues - und ein großes Wagnis. Dass es so fulminant gelingt, war nicht selbstverständlich und ist dem kreativen Zusammenspiel aller Beteiligten zu verdanken, bei dem man gar nicht weiß, was man zuerst loben soll. Die kluge Regie von Andreas Wiedermann, der die am 40. Geburtstag Warhols verdichtete Lebensbilanz bis zum finalen Shootout immer in Bewegung hält und - auch das genial und neu - über zwei Schauplätze verteilt: erst in den perfekt zu den Happenings zwischen Chelsea Hotel und Studio 54 passenden L-förmigen Proberaum des Gasteigs HP8, im zweiten Akt dann ins zur "Factory" umfunktionierte Foyer der Isarphilharmonie.

Loben muss man auch die opulenten, Warhols Originale mit Neo-Warholismen und der Aufführungsebene vermengenden Bühnenbilder und Projektionen von Aylin Kaip, Karen Du Plessis und Bernhard Gassner. Oder die schauspielerische Wucht von Ruben Hagspiel, Anina und Anouschka Doinet und allen voran Oliver Möller, der die vom Stoischen verdeckte Zerrissenheit Warhols fast schmerzhaft anschaulich machte. Alles zusammen ein Ereignis (nochmals am 10., 23. und 27. Mai sowie am 13. Juni).

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