Süddeutsche Zeitung

Prozess:"Ich wusste, dass er der Leiter ist, deshalb hab ich ihn geschlagen"

Lesezeit: 3 min

Von Susi Wimmer

Richter Max Boxleitner legt ein unerschöpfliches Maß an Geduld an den Tag. Er lässt Tarek M. ( Name geändert) seine Gedankengänge ausführlich erläutern und, als es um die Tat geht, versucht er immer wieder, dem 42-Jährigen eine Brücke zu bauen. Ob er es nicht bereuen würde, ob Gewalt das richtige Mittel gewesen sei. Aber M. tritt nicht auf die Brücke, sondern sagt: "Ich wusste, dass er der Leiter ist, deshalb hab ich ihn geschlagen." Das Opfer in diesem Strafverfahren, das nun nach Revision neu verhandelt wird, ist Markus Kraus, zur Zeit der Tat noch Leiter der Münchner Mordkommission. Kraus hatte Tarek M. mit dem SEK einen Besuch abgestattet, weil dieser im Rahmen der Fahndung nach dem Isar-Mörder nicht zum Speicheltest erschienen war. Tarek M.'s Antwort auf den Einsatz um sechs Uhr früh: Er schlug Kraus ins Gesicht.

Die Geschichte ist schon einige Zeit her, und eigentlich begann sie mit dem Mord an dem 31-jährigen Domenico L. im Mai 2013 auf einem Radweg an der Isar vor dem Europäischen Patentamt. Ein Unbekannter stach den jungen Mann grundlos nieder und flüchtete. Die Polizei gründete eine Sonderkommission, zog alle Register bei der Klärung der Straftat - und bat auch Tausende Münchner zum Speicheltest, deren Handy zur Tatzeit in der Funkzelle nahe des Tatortes eingeloggt war.

Auch Tarek M. wurde aufgefordert, freiwillig eine Speichelprobe abzugeben, "und zwar mehrmals und aufgrund richterlicher Beschlüsse", sagt Staatsanwältin Johanna Heidrich. Da er auf kein Schreiben reagierte, wurde "die zwangsweise Entnahme der Probe durchgesetzt", sagt Heidrich. Deshalb sei schlussendlich am 26. März 2015 das SEK vor der Tür des damals 38-Jährigen gestanden. Die Beamten brachen die Tür auf und holten Tarek M. aus dem Bett.

"Ich wurde nicht mal belehrt", sagt der Angeklagte heute. Man habe ihm einen Zettel wackelnd vor das Gesicht gehalten, "den hab ich ja ohne meine Brille gar nicht lesen können". Dann hätte man ihm zwangsweise Blut abgenommen. Nach dem Einsatz stand M. mit dem damaligen Chef der Mordkommission vor der Wohnungstür. Als M. auf die kaputte Tür hinwies, sollen die Beamten gelacht und gesagt haben: "Die ist nicht kaputt". Da schlug er zu - und zielte gleich auf den Chef. "Zuschlagen ist eine Straftat", sagt M. selbst, "aber wie soll man gegen rechtswidrige Sachen Widerstand leisten?"

Tarek M. wurde im Februar 2016 wegen Körperverletzung, Beleidigung und Bedrohung zu einer siebenmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft ging gegen das Urteil in Revision, weil sie der Meinung war, das Gericht habe die Möglichkeit einer Unterbringung nicht beurteilt. Auch Tarek M. ging in Revision, ohne seinen Anwalt. Das Urteil wurde teilweise aufgehoben und nun muss vor der siebten Strafkammer bewertet werden, ob Tarek M. in einer psychiatrischen Klinik untergebracht werden soll.

Im Leben von Tarek M. ist wohl so einiges passiert. Der Mann mit dem dunklen Bart und der Brille erzählt von einer Kindheit in München, Saudi-Arabien und Ägypten, von seiner Zeit bei der Bundeswehr, die "charakterbildend" gewesen sei beim "Transfer in die Gesellschaft". Er sei als Informatiker über Zeitarbeitsfirmen vermittelt worden. Der Vater sei streng gewesen, die Mutter nicht so, trotzdem habe er später bei seinem Vater gelebt. "Warum?", fragt Richter Boxleitner. M. antwortet: "Der Begriff Gott ist ein deutscher Begriff", beginnt er, redet dann über Geschlechterverteilung und endet mit: "Die heilige Mutter ist etwas ganz Tiefes."

Der 42-Jährige bezeichnet sich selbst als Agnostiker, "Kenntnis durch Selbsterkenntnis". Er hat eine Papprolle mitgebracht und zieht daraus ein Plakat mit weißen Kreisen auf blauem Untergrund. Er hält es dem Richter vor, zeigt auf einen Kreis und sagt: "Das ist ein hebräisches Wort für Moses. Hier das Nichts vor dem Urknall und hier der Baum der Erkenntnis." Tarek M. befand sich bereits zweimal in psychiatrischen Einrichtungen, wurde auch mit Tabletten behandelt, die habe er dann 2011 abgesetzt. Das SEK war bereits dreimal in seiner Wohnung. Wegen eines Einsatzes 2013 hat M. Schadensersatzklage erhoben. "In Deutschland erwarte ich nichts mehr, ich ekle mich, wenn ich die ersten Beamten sehe", sagt er. Er wolle künftig im Ausland leben. Der Prozess dauert an, am Montag soll Markus Kraus aussagen.

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SZ vom 11.05.2019
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