Süddeutsche Zeitung

Viertel-Stunde:Pasings Canal piccolo

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Das "Klein-Venedig" am Würmkanal ist noch nicht einmal zehn Jahre alt. Heute würde sich kaum jemand mehr so zu bauen trauen

Von Jutta Czeguhn

Wer hat sich nicht schon einmal verlaufen in Venedig? Zumal sich die Venezianer bekanntlich einen Sport daraus machen, Touristen den falschen Weg zu weisen im Labyrinth der Kanäle. Der Mensch vom Lieferservice mit der duftenden Papiertüte in der Hand studiert deshalb erst einmal hoch konzentriert den Feuerwehrzufahrtsplan, ehe er sich hineinwagt ins "Klein-Venedig" von Pasing, um seinen Burger abzuliefern. Heute mal keine Pizza.

"Residenza Veneziana", so hat die Terrafinanz Wohnbau ihre Anlage hochoffiziell, aber womöglich nicht völlig ironiefrei getauft. Sie liegt zwischen der Planegger Straße und dem Pasinger Stadtpark. Dieses Klein-Venedig, denkt man erstaunt, muss aus einem goldenen Zeitalter stammen. Denn heute, 2019, in der Ära manischer Stadtverdichtung und monotoner Sardinenenbüchsen-Architektur, würde kein Investor mehr so großzügig bauen und in einem kühnen Balanceakt zwischen mediterraner Bauästhetik und wüstem Italo-Kitsch etwas Vergleichbares hinstellen. Und doch, die Residenza ist in einigen Abschnitten noch nicht einmal zehn Jahre alt.

Wer also einen kleinen Architektur-Spaziergang wagen möchte, wandert durch den Pasinger Stadtpark bis zu der Stelle, wo im Westen der Endeweg kreuzt und auf der Ostseite der Josef-Osterhuber-Platz liegt. Dort steht man dann am nördlichen Entree, respektive am Ausgang des Quartiers. Der "Canal Grande", eher ein "Canaletto", schießt hier unterirdisch aus der Anlage. Also wendet man sich nach Süden und folgt gegen die Fließrichtung dem Verlauf des schmalen Würmkanals, dessen Wasser einst wichtig war zur Energieversorgung der Papierfabrik, die hier bis 1999 am südlichen Rand von Pasing stand. Munter setzt sich der Canaletto in Szene zwischen den Wohnblöcken zu beiden Seiten. Insgesamt vier weiße, kleine Rialto-Brückchen überspannen den Kanal, die jedoch der originalen Ponte di Rialto in Venedig kaum ähnlich sehen, schon eher der Ponte dei Bareteri, die nach den Kappenmachern im Stadtteil San Marco benannt ist.

Im Pasinger Venedig leben wohl keine Hutmacher, augenscheinlich aber sind viele Familien mit Kindern zu Hause. Es gibt große Höfe mit Spielanlagen zwischen den Blöcken. Fahrräder aller Größen stehen vor den Häusern, die in Ocker, Terrakotta oder sogar Rosso Veneziano gestrichen sind. Einst, zu Werbezwecken, trieb auf dem Pasinger Canale auch eine echte Gondel, die Terrafinanz hatte sie von einer Werft aus Venedig. Doch hielt sie offenbar nicht allzu lange durch. Und so wurde Pasings einzige Würm-Gondola irgendwann zum Entsorgungsfall.

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Quelle:
SZ vom 03.08.2019
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