Süddeutsche Zeitung

Viertel-Stunde:Das Münchner Bullerbü

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In Ramersdorf zeigt eine 90 Jahre alte Siedlung, dass man auch in einer Großstadt beschaulich leben kann

Von Renate Winkler-Schlang

Wie malt ein Kind ein Haus? Spitzes Dach mit roten Ziegeln, bunte Fensterläden, Garten mit Baum und Bank. Bullerbü-Romantik, die auch Erwachsene lebenswert finden. Es gibt sie noch, solche Siedlungen, auch in München. Sie ächzen unter Nachverdichtungsdruck. Nicht so die Mustersiedlung Ramersdorf, westlich der Zwiebelturm-Wallfahrtskirche Maria Ramersdorf gelegen. Dass es aussieht, als wäre die Welt hier noch heil, haben ihre Bewohner dem Ensembleschutz zu verdanken und damit letztlich der Entstehungsgeschichte des Quartiers vor rund 90 Jahren.

Wer im Geviert zwischen Rosenheimer und Hohenaschauer, Frauen- und Herrenchiemseestraße spazieren geht, hört Vögel zwitschern, entdeckt versteckte kleine Parks und empfindet auch ohne all das stadthistorische Wissen und die Kenntnis berühmter Architekten-Namen wie etwa Sep Ruf, dass er sich hier an einem besonderen Platz befindet. Die eine oder andere bauliche "Sünde" wie komplett gekiester Vorgarten, Designer-Edelstahl-Gartentor oder abweisende Eingangstür, die wirkt wie ein Baumarkt-Schnäppchen, mag es auch hier geben - insgesamt aber geht das Auge entspannt mit spazieren in den ruhigen Straßen und verwunschenen Gassen.

Wohltuend, wie die Proportionen der 192 Gebäude stimmen. Egal, welches der 34 verschiedenen Typen: Dächer stehen nicht wuchtig weit über wie im schneereichen Oberland. Keine angepappten Erker beleidigen den Schönheitssinn. Zäune, je schlichter, um so schöner. Es gibt viel zu entdecken: hier eine alte Firstfigur aus Ton, dort eine hölzerne Heilige in einer Hauswand. Ostereier leuchten noch an den Büschen rund um die Kirche Gustav Adolf, wo in der Vorweihnachtszeit immer der Schwedenmarkt stattfindet. Individuell sind die Häuser und Gärten, und doch wirkt die Siedlung aus einem Guss, wie aus einem Dieter-Wieland-Lehrfilm.

Die Bewohner-Initiative Mores wacht sensibel über das wunderbare Viertel. So will man wohnen. Zumal in normalen Zeiten auch das nahe gelegene Zar oder der Alte Wirt zur Einkehr bitten und im kleinen Nachbarschaftsladen des Kindergartens Budenzauber der Bär tobt. Eine Million, sagt eine Frau, die gerade ihre Einkäufe heimbringt, eine Million Euro koste hier inzwischen auch schon das allerwinzigste Muster-Häusl, mit gerade mal 56 Quadratmetern. Da habe sich schon der eine oder andere übernommen. Bloß kein Neid also! Immerhin: Anschauen kostet ja nichts.

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Quelle:
SZ vom 10.04.2021
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