Süddeutsche Zeitung

Urteil:Mieterin muss Au-pair weichen

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Die Unterbringung einer Kindersitterin ist laut Amtsgericht ein Kündigungsgrund

Von Susi Wimmer

Ein Wohnungseigentümer darf einer Mieterin kündigen, wenn er die nahegelegene Wohnung selbst für die Unterbringung eines Au-pair-Mädchens benötigt. So hat das Landgericht München jüngst in einem Urteil entschieden und die Mieterin, die zu 60 Prozent schwerbehindert ist und Hartz IV bezieht, dazu aufgefordert, die Zwei-Zimmer-Wohnung in der Ludwigsvorstadt zu räumen.

Seit 18 Jahren lebt die Frau in der 59 Quadratmeter großen Wohnung, zuletzt aufgrund eines Mietvertrages von 2011, und zahlt eine monatliche Miete von 763 Euro. Der Wohnungseigentümer lebt mit seiner Familie knapp 700 Meter von der Mietwohnung entfernt. Und zwar mit seiner vierköpfigen Familie: Seine Frau ist berufstätig und arbeitet von zu Hause aus, zwei Kinder besuchen die Grundschule, das jüngste Kind ist gerade einmal ein Jahr alt. Zum 1. September 2020, so beschloss die Familie, wolle man zur Unterstützung ein Au-pair einstellen. In ihrer Sechs-Zimmer-Wohnung aber sei dazu kein Platz: Es gebe ein Elternschlafzimmer, drei Kinderzimmer, einen Wohn-Essbereich mit offener Küche sowie Bad und ein Büro. Jedes der Zimmer werde bereits genutzt. Also schickte der Eigentümer der Mieterin am 13. November 2019 die Kündigung zum 31. August 2020.

Wie Richter Klaus-Peter Jüngst, Pressesprecher am Amtsgericht, weiter ausführt, wandte die Mieterin ein, das Au-pair-Mädchen könne sehr wohl in der Wohnung des Eigentümers unterkommen, oder man könne für das Mädchen eine andere Wohnung in der Nähe anmieten. Denn sie selbst sei aufgrund ihrer Lebenssituation auf dem freien Wohnungsmarkt chancenlos. Sie habe sich bislang vergeblich um Ersatz bemüht. Zudem leide sie unter einem mittelgradigen depressiven Syndrom, das sich nun zu verschlechtern drohe.

Das Gericht entschied, dass der Wunsch nach einem Au-pair-Mädchen grundsätzlich nachvollziehbar und ein anerkennenswerter Kündigungsgrund sei, wenn die Familie es fußläufig in der eigenen Wohnung unterbringen möchte. Der Einwand der Mieterin, gerade das einjährige Kind benötige kein eigenes Zimmer, darin könne das Au-pair-Mädchen wohnen, überzeugte das Gericht nicht. Die Raumaufteilung in der Wohnung sei allein Sache der Familie. Anhaltspunkte für ein "auffälliges Missverhältnis" sehe das Gericht nicht. Die Familie habe überzeugend erklärt, dass die Ehefrau ihrem Beruf nur wieder voll nachgehen könne, wenn die Kinderbetreuung sichergestellt sei.

Die Mieterin hatte in der Verhandlung ein ärztliches Attest vorgelegt, aus dem ersichtlich wurde, dass sie sich erst am 1. Oktober 2020 in ambulante Behandlung begeben habe. Außerdem habe sie nicht dargestellt, inwieweit das depressive Syndrom sie an der Räumung der Wohnung hindere. Eine 60-prozentige Behinderung reiche für sich genommen nicht aus. Zudem habe die Mieterin nur im zentralen Innenstadtbereich und nur in besonders beliebten Vierteln nach einer neuen Wohnung gesucht. Damit sei nicht nachgewiesen, dass sie "alles Erforderliche und Zumutbare" unternommen habe, um eine neue Bleibe zu finden. Wegen des Lockdowns und seinen Erschwernissen wurde eine Räumungsfrist bis zum 31. Juli diesen Jahres anberaumt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig (Az: 473 C 11647/20).

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SZ vom 26.01.2021
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